Vergessene Freundschaft

An einem sonnigen Nachmittag im Juli hatten sich Roland und Pia mit Kathrin zu einer Fahrradtour am See verabredet. Martin wollte eigentlich auch mitkommen, musste dann aber kurzfristig in der Klinik für Dr. Eichhorn einspringen, die sich krank gemeldet hatte. Auch Roland war noch in der Klinik hängengeblieben, und so bereiteten Kathrin und Pia in Kathrins Küche gemeinsam das Picknick vor.
"Hoffentlich kommt Roland bald.", sagte Pia und sah auf die Uhr. "Sonst können wir gleich daheim bleiben."
"Der wird schon noch auftauchen.", antwortete Kathrin gelassen. "Hier, pack mal die Äpfel ein!" Sie warf ihr einen Apfel nach dem anderen zu, und Pia verstaute sie in der Tasche. In dem Moment klingelte es an der Tür. Kathrin öffnete, und Roland stand draußen. "Siehst du, da ist er schon, dein Göttergatte!", rief sie Pia zu und begrüßte Roland mit einem Kuss auf die Wange. "War noch was besonderes in der Klinik?", fragte sie.
"Nein, ich hab mir nur den Oberschenkelhalsbruch von gestern nochmal angeschaut, der Patient hatte Schmerzen. War aber nichts weiter.", erzählte Roland.
"So, und ab jetzt ist das Thema Klinik für heute verboten!", verkündete Pia und gab Roland einen Kuss auf den Mund. "Hallo, mein Schatz."
Nachdem der Rest verstaut wurde, gingen die Drei hinunter, schwangen sich auf ihre Räder und fuhren Richtung Cospudener See. Die Blätter der Bäume verfärbten sich langsam und die Sonnenstrahlen ließen das Wasser glänzen.
"Ist das schön!", stellte Pia fest, die ihren Blick über den See schweifen ließ.
"Ja, hier kann man richtig entspannen, alles hinter sich lassen", stimmte Kathrin zu.
"Nur schade, dass Martin nicht mitkommen konnte. Wir haben schon lange keine gemeinsame Tour mehr gemacht", bemerkte Roland.
"Früher hatten wir wirklich mehr Zeit füreinander", Kathrin dachte an die Zeit mit Achim zurück.
"Wir haben uns die Zeit einfach genommen", korrigierte Roland sie.
"Diese Weisheit aus deinem Munde?", feixte Pia. "Nein, im Ernst... ihr lebt teilweise nur noch in der Klinik. Ein bisschen Abwechslung schadet euch wirklich nicht!"
"Da hast du wohl Recht.", antwortete Kathrin. "Aber man kann es sich leider nicht immer aussuchen! Im Moment gibt es einfach viel Arbeit."
"Außerdem geht die Grippe rum.", fügte Roland hinzu. "Ständig ist jemand krank, jetzt auch noch Dr.Eichhorn. Sie fehlt an allen Ecken und Enden."
"Wenigstens musste unsere Radtour nicht flach fallen.", sagte Pia zufrieden. "Und jetzt lasst uns von was anderem reden. Hast du eigentlich mal wieder was von Achim gehört, Kathrin?"
"Ja, aber das ist schon etwas länger her... vor etwa drei Wochen hat er mir eine E-Mail geschrieben. Er wollte sich bei euch auch noch melden, hat er das nicht gemacht?", fragte Kathrin.
"Nein!", antwortete Pia.
"Vielleicht ist ihm was dazwischen gekommen. Jedenfalls geht es ihm gut, und Katharina auch. Er hat mir ein Foto mitgeschickt, die beiden scheinen wirklich glücklich zu sein."
"Ich freu mich ja sehr für Achim, dass er endlich eine Frau gefunden hat mit der er glücklich ist...", sagte Roland.
"Aber?", fragte Pia nach. Ihr war der Unterton nicht entgangen.
"Na, musste er gleich nach Kolumbien gehen? Katharina und er hätten doch auch hier leben können. Ich vermisse ihn", gab Roland zu.
"Er fehlt mir auch", sagte Kathrin. "Aber für Achim war es wahrscheinlich so besser. Er brauchte eine neue Herausforderung. Du kennst ihn doch..."
"Du hast ja recht, Kathrin... aber eine jahrelange Freundschaft vergisst man nicht so schnell", rechtfertigte Roland seinen Kummer.
"Ihr sollt ihn ja auch nicht vergessen, aber es gibt Dinge die muss man einfach akzeptieren", mischte Pia sich ein, die Roland und Kathrin schon verstehen konnte, schließlich war Achim auch ihr Freund gewesen. "Vielleicht können wir ihn ja mal einladen? Er würde sich sicher freuen."
"Die Idee ist gar nicht mal schlecht", fand Kathrin und auch Roland war einverstanden.
"Ich rufe ihn heute Abend mal an.", schlug Roland vor. "Wird sowieso mal wieder Zeit!"
"Okay. Dann grüß ihn doch bitte ganz lieb von mir.", bat Kathrin ihn.
Eine Weile fuhren sie schweigend nebeneinander her. "Schaut mal da vorne!", rief Kathrin plötzlich und deutete auf einen kleinen Picknickplatz mit einem Tisch und zwei Bänken aus Holz. "Wollen wir da Pause machen?"
"Ja, das ist eine tolle Idee!" Pia war begeistert. "Hier sieht es richtig gemütlich aus." Sie stellten die Fahrräder ab und packten den Proviant aus.
"Was habt ihr denn feines eingepackt?", fragte Roland neugierig.
"Lass dich überraschen!" Pia stellte nach und nach verschiedene Plastikdosen auf den Tisch. Roland öffnete eine davon. "Nudelsalat!", rief er begeistert. "Da kriege ich richtig Hunger."
Pia grinste amüsiert in sich hinein und stellte die Getränke auf den Tisch. Dann setzte sie sich neben Roland, der sich bereits eine Gurkenscheibe in den Mund steckte. "Du bist aber ungeduldig heute, was ist denn mit dir?", fragte sie.
"Nichts, ich hab einfach nur Hunger!", antwortete er. "Und ich find's schön hier mit euch beiden." Er gab Pia einen Kuss auf die Stirn und warf Kathrin einen Luftkuss zu.
Kathrin lachte. "Du alter Charmeur!"
"Kathrin! Das ‚alter' hättest du dir wirklich sparen können", rief Roland gespielt beleidigt.
"Oh, entschuldige bitte", lachte Kathrin und auch Pia musste grinsen.
"Du kannst schon mal das Brot schneiden", Pia reichte Roland ein Messer.
"Jaja, eine typische Chirurgenarbeit!", scherzte Roland.
"Wir dachten, dass wir dir das überlassen sollten. Nicht, dass dir auf dem Ausflug langweilig wird", nahm Kathrin ihn auf die Schippe.
"Mit euch wird´s bestimmt nicht langweilig. Eure Ideen sind unschlagbar", antwortete Roland und schnitt das Brot in Stücke.
Die Frauen deckten derweil den Tisch...
"Seid ihr fertig?", fragte Roland kurze Zeit später. "Ich verhungere gleich."
"Du Ärmster, wenn die Getränke ausgeschenkt sind, können wir anfangen", sagte Pia.
"Das übernehme ich. Was haben wir denn Gutes?", er schaute in den Korb. "Aha, der gute Rotwein, ihr denkt aber auch an alles!"
"Aber nicht zu viel, wir wollen ja schließlich noch heil heimkommen!", mahnte Pia.
"Jaja." Roland verdrehte die Augen und schenkte jedem etwas Rotwein ein. "Wo wollen wir denn nachher noch hinfahren?", fragte er.
"Ich dachte, wir fahren einfach einmal um den See rum", antwortete Pia. "Ist doch total schön hier."
"Das stimmt, mir gefällt's auch", stimmte Kathrin zu. "Magst du eine Tomate, Roland?" Sie hielt ihm eine Dose hin.
"Gerne, ich nehme alles!", antwortete Roland grinsend.
Nach dem Essen ließ Roland sich der Länge nach ins Gras fallen.
"Was wird das denn jetzt?", fragte Pia ungläubig.
"Euer Essen war so gut, ich platze gleich..."
"Kein Wunder!", lachte Kathrin.
"Du hast ja recht, aber wir sind ja mit dem Rad unterwegs... da wird direkt wieder was abgestrampelt", stellte Roland fest.
Nachdem alles zusammengepackt war, schwangen die Drei sich wieder auf ihre Räder und radelten los, Kathrin und Pia vorne weg.
"Wo bleibst du denn?", rief Pia Roland zu.
"Ich komm ja schon, ihr legt aber auch ein Tempo vor.", beschwerte sich Roland.
"Och... so schnell fahren wir wirklich nicht", Kathrin und Pia grinsten sich an.
Roland legte sich nochmal richtig ins Zeug und holte schnell auf. "Pass auf Kathrin, ich überhole dich gleich!", rief er gut gelaunt. Doch Kathrin reagierte nicht. Sie wurde langsamer, geriet ins Straucheln und stürzte zu Boden.
"Kathrin!", rief Roland und hielt abrupt an. Auch Pia war sofort zur Stelle. Kathrin saß auf dem Boden und rieb sich den Kopf.
"Wie ist das denn passiert? Tut dir was weh?", fragte Roland.
"Nee, alles in Ordnung.", antwortete Kathrin. "Mir ist nur plötzlich so heiß, und... schwindelig...." Sie schloss die Augen. Roland fühlte ihre Stirn. "Mensch, du hast Fieber!"
"Ich fühle mich schon länger etwas komisch. Ist bestimmt eine Grippe..."
Pia holte ihr Handy aus dem Rucksack. "Ich rufe Jakob an, er soll mit dem Auto kommen!"
„Nicht doch, wir können noch mit dem Rad zurückfahren. Es geht schon wieder", wiegelte Kathrin ab.
„Keine Widerrede.", Roland half ihr auf. „Wir bringen dich jetzt nach Hause und dann erholst du dich. Ich gebe dir den Rest der Woche frei."
„Roland, ich bin ein bisschen erkältet, aber doch nicht sterbenskrank.", wehrte Kathrin sich.
„Trotzdem... so lass ich dich nicht auf die Patienten los und dir würde das auch nichts bringen.", sagte er bestimmt.
„Roland hat Recht, Kathrin. Du warst in den letzten Tagen wirklich nicht ganz fit.", mischte sich nun auch Pia ein. „Jakob ist schon unterwegs.", ergänzte sie.
„Gut, dann warten wir hier.", meinte Roland.
Er holte die Picknickdecke aus der Satteltasche und breitete sie auf dem Boden aus. "Setz dich mal hier hin, Kathrin."
"Ach Roland, jetzt behandel mich doch nicht wie ein kleines Kind!"
"Du hältst jetzt den Mund und setzt dich hier hin, bis Jakob kommt." Roland blieb standhaft.
"Ja, Herr Chefarzt.", sagte Kathrin und setzte sich auf die Decke. Ihr war schon wieder etwas schwindelig geworden, aber das wollte sie sich nicht anmerken lassen.
Es dauerte nur noch ein paar Minuten, bis Jakob kam. "Was macht ihr denn für Sachen?", fragte er, während er ausstieg.
"Wir nicht, Kathrin!", antwortete Roland. "Sie hat Fieber."
"Hab ich nicht!", protestierte Kathrin.
"Ist ja auch egal.", sagte Pia schnell. "Jedenfalls brauchst du dringend Ruhe. Soll ich mitkommen?"
"So ein Quatsch. Ins Bett schaffe ich es schon noch alleine. Außerdem kannst du Roland nicht mit drei Fahrrädern alleine lassen."
Pia blickte zu Roland und dann wieder zurück zu Kathrin. "Du hast wohl Recht. Jakob, ich verlasse mich auf dich, du fährst Kathrin direkt nach Hause, ja?"
"Klar.", antwortete Jakob.
"Und du versprichst uns, dass du dich hinlegst?", fragte sie Kathrin.
"Jaaaaa, jetzt hört endlich auf, so zu übertreiben." Genervt stieg Kathrin ins Auto, und Jakob fuhr los.
Die Fahrt verlief ereignislos. Kathrin gefiel es gar nicht, dass Roland sie wie ein kleines Kind behandelt hatte. Trotzdem wusste sie, dass er es nur gut mit ihr meinte.
„So, da wären wir.", sagte Jakob nach einer Weile. „Soll ich noch mit hochkommen?"
„Nein nein, das brauchst du wirklich nicht. Danke fürs Bringen.", Kathrin stieg aus.
„Keine Ursache und gute Besserung!", verabschiedete Jakob sich und fuhr wieder Richtung Heimat.
Kathrin machte sich wie versprochen auf den Weg in ihre Wohnung. Gut ging es ihr nicht, sie fror. Nachdem sie sich eine Kanne Tee aufgeschüttet hatte, legte sie sich aufs Sofa und schlief kurz darauf ein....
Wie lang sie geschlafen hatte, wusste sie nicht. Es ging ihr jedoch nicht besser. „Mensch, mich hat es aber ganz schön erwischt.", dachte sie sich. Kathrin beschloss ins Badezimmer zu gehen und etwas gegen die Kopfschmerzen zu nehmen. Ihr war immer noch schwindelig. Zurück im Wohnzimmer klingelte das Telefon, Roland war am Apparat.
"Ich wollte nur fragen, ob es dir besser geht.", erkundigte er sich.
"Ja, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.", schwindelte sie.
"Gut, dann kurier dich aus. Ich melde mich wieder."
"Mach das, danke für den Anruf. Bis dann.", sie legte auf.

Sie kuschelte sich wieder aufs Sofa und warf einen Blick auf die Uhr. Es war bereits kurz vor acht, sie hatte also ziemlich lange geschlafen. Eine Weile blieb sie liegen, bis sich nicht mehr alles um sie herum drehte. Dann stand sie wieder auf, zog die Vorhänge vor, und ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu holen. Doch als sie den Kühlschrank öffnete, überkam sie plötzlich eine Abneigung gegen das Essen, und ihr wurde richtig schlecht. Schnell schloss sie die Kühlschranktür wieder und lehnte sich mit geschlossenen Augen dagegen. Da sie auch schon wieder schrecklich fror, schleppte sie sich zurück zum Sofa und ließ sich erschöpft darauf sinken.
Mitten in der Nacht wachte Kathrin wieder auf, weil ihr Kopf unaufhörlich pochte. Es fühlte sich an, als würde jemand mit einem Hammer darauf klopfen. Ihr war außerdem sterbensschlecht und sie bekam nur schwer Luft. 'Ich muss ins Krankenhaus!', war ihr einziger Gedanke. Mit letzter Kraft streckte sie ihren Arm zum Telefon aus und wählte....
Roland schreckte aus dem Schlaf hoch, als das Telefon klingelte. "Heilmann?", meldete er sich gähnend.
"Roland...", hörte er eine keuchende Stimme am anderen Ende.
Er wurde hellhörig. "Wer ist denn da?", fragte er.
"Ich, Kathrin... du musst.... mir helfen...."
"Kathrin? Was ist mit dir?" Roland sprang aus dem Bett und begann bereits, sich anzuziehen.
"Ich... ich...", flüsterte Kathrin kaum hörbar, dann hörte Roland ein seltsames Geräusch, und dann nichts mehr. "Kathrin?", schrie er in den Hörer. "Kathrin!!"
Pia war nun auch wach geworden. "Was ist mit Kathrin?", fragte sie ängstlich.
"Ich weiß nicht... ihr geht's schlecht, und jetzt war sie plötzlich weg! Ich fahre sofort hin." Roland stolperte fast, als er sich die Hose anziehen wollte.
"Ich komme mit!" Pia sprang ebenfalls auf und begann, sich anzuziehen.
Kurz darauf saßen sie im Auto.
Vor dem Wohnhaus angekommen liefen Pia und Roland das Treppenhaus hinauf. Er hämmerte wie wild gegen die Wohnungstür. „Kathrin!?", doch es kam keine Reaktion.
„Pia, wir müssen unbedingt da rein!", Roland wurde hektisch.
Pia wusste, dass der Nachbar einen Ersatzschlüssel hat. Ohne zu zögern klingelte sie an der Haustüre. Kurze Zeit später stand ihr ein Mann gegenüber. „Geht es Ihnen eigentlich noch gut? Haben Sie mal auf die Uhr geschaut?", der Mann war sehr verärgert.
„Es ist ein Notfall, wir brauchen den Wohnungsschlüssel von Frau Globisch.", erklärte Pia schnell.
„Kann das nicht bis morgen warten?", der Nachbar zeigte sich uneinsichtig.
„Jetzt geben Sie schon den Schlüssel. Frau Globisch hat bei uns angerufen. Es geht ihr sehr schlecht. Sie braucht dringend Hilfe!", Roland wurde ungehalten.
Der Nachbar war überzeugt und sperrte Kathrins Wohnungstür auf. Roland fand Kathrin im Wohnzimmer, sie war bewusstlos.
„Ruf einen Krankenwagen, schnell", rief er Pia zu. Dann kümmerte er sich wieder um seine Freundin. „Kathrin, kannst du mich hören?", er fühlte ihren Puls, dieser war viel zu hoch. Auch ihre Stirn glühte. Zum Glück war schon das Martinshorn zu hören...
Die Sanitäter waren sich mit Roland einig, dass Kathrin so schnell wie möglich in die Klinik musste. Sie brachten sie auf der Trage in den Rettungswagen und fuhren mit Blaulicht los. Wenige Minuten später kamen sie in der Notaufnahme der Sachsenklinik an. Roland sprang aus dem Wagen und rannte der Oberschwester und Martin Stein entgegen, die auf ihn zukamen. "Wir bringen Kathrin, sie ist bewusstlos. Hohes Fieber, Pulsrasen!", rief er aufgeregt. "Schnell, in den Schockraum!"
"Kathrin?" Martin war entsetzt, er fing sich jedoch schnell wieder und half den Sanitätern, sie in den Schockraum zu bringen. Pia wollte hinterher, doch Roland hielt sie auf. "Du bleibst draußen.", sagte er mit Nachdruck.
"Nein!" Pia wehrte sich. "Ich will bei ihr bleiben."
"Du bleibst draußen!" Roland schrie fast, und schob kurzerhand die Tür vor Pia zu. Sie fuhr erschrocken zurück und fiel Schwester Yvonne, die hinter ihr aufgetaucht war, beinahe in die Arme.
"Frau Heilmann." Yvonne legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. "Setzen Sie sich doch dort drüben hin. Ich bringe Ihnen einen Tee."
"Danke.", sagte Pia leise.

Im Schockraum arbeiteten Roland und Martin Hand in Hand.
"Weißt du, was passiert ist?", fragte Martin, nachdem Kathrin wieder einigermaßen stabil war.
"Ihr ging es während unserer Fahrradtour schon nicht gut. Sie ist gestürzt, hat aber mal wieder alles runtergespielt, meinte es wäre nur eine Grippe. Gegen Abend habe ich noch mal bei ihr angerufen und gefragt wie es ihr geht. Wieso hat sie bloß nichts gesagt?"
"Du kennst doch Kathrin.", meinte Martin.
"Eben.", antwortete Roland. "Ich hätt´s wissen müssen. Irgendwie muss sie es noch ans Telefon geschafft haben. Seitdem ist Kathrin bewusstlos."
"Wichtig ist nur, dass du so schnell gehandelt hast. Wir bringen sie jetzt erstmal auf die ITS.", sagte Martin und veranlasste alles.
Pia wurde langsam ungeduldig, sie wollte wissen was los ist. Yvonne entging dies nicht.
"Ihr Mann wird sicher gleich hier sein.", versuchte Yvonne Pia abzulenken. Tatsächlich kam ihnen Roland wenige Minuten später entgegen.
"Wie geht´s Kathrin?", fragte Pia besorgt.
"Wir haben sie auf die ITS gebracht.", sagte Roland. "Jetzt müssen wir erstmal das Fieber senken und den Kreislauf stabilisieren."
"Darf ich mal kurz zu ihr?", bat Pia.
"Ich weiß nicht...", Roland war unsicher.
"Bitte.", Pia sah ihm tief in die Augen.
"Gut, aber wirklich nur ganz kurz!", gab Roland nach.
Er brachte Pia auf die ITS und sie zogen sich die grünen Kittel an. Gemeinsam betraten sie Kathrins Zimmer. "Sie schläft.", flüsterte Roland.
"Ist sie immer noch bewusstlos?", fragte Pia.
"Nein, sie war vorhin kurz bei Bewusstsein. Aber das Fieber ist immer noch sehr hoch, deshalb war sie praktisch nicht ansprechbar. Es ist gut, dass sie wieder schläft.", erklärte Roland.
Pia nickte. Dann setzte sie sich auf den Hocker neben Kathrins Bett und streichelte ihr sanft über die Wange. "Kathrin...", sagte sie leise. "Du musst wieder gesund werden, hörst du?"
Roland legte Pia die Hand auf die Schulter. "Mach dir keine Sorgen, Pia. Es geht ihr bestimmt bald besser." Er machte sich selbst große Sorgen, wollte Pia aber nicht beunruhigen.
Nach einer Weile kam Martin herein.
"Hallo Pia.", sagte er und lächelte sie kurz an. Dann wandte er sich an Roland: "Ich habe eine Blutprobe ins Labor bringen lassen. Hoffentlich finden die den Erreger."
"Und dann?", fragte Pia.
"Werden wir ihr die entsprechenden Medikamente geben.", gab Roland ihr Auskunft. Er sah Martin an und gab ihm zu verstehen, dass er mal eben mit ihm raus gehen sollte. "Wir sind sofort wieder da, Pia."
"Was gibt´s denn?", fragte Martin verwundert.
"Es wäre besser, wenn wir vor Pia nichts von Kathrins Zustand erwähnen... jedenfalls nicht, bevor wir wissen, womit wir es zu tun haben.", bat Roland.
"Das ist nicht fair, Roland.", widersprach Martin. "Sie hat ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren."
"Aber sie macht sich sowieso schon so große Sorgen! Ich will nicht, dass es ihr deshalb schlecht geht."
"Roland, du kannst sie nicht immer vor allem beschützen." Martin sah ihn ernst an. "Ich versteh dich ja. Aber Pia fühlt sich übergangen, wenn sie irgendwie doch dahinter kommt, was mit Kathrin ist. Und dann habt ihr beide am Ende noch Krach."
Roland seufzte. "Du hast ja recht. Sie hat mir ja auch schon oft genug gesagt, ich soll sie nicht immer bevormunden."
"Na siehst du."
Roland schüttelte den Kopf. "Pia hat so viel mitgemacht in letzter Zeit. Ich hab einfach Angst, dass sie irgendwann daran kaputt geht!"
"Pia ist stark, sie schafft das. Ich glaube, es ist letztlich viel schwieriger, damit klarzukommen, dass der eigene Partner einem etwas vorgemacht hat. Und Sorgen macht sie sich sowieso. Also sag ihr die Wahrheit!" Martin nickte ihm aufmunternd zu.
Als die Zwei das Zimmer wieder betraten merkte Pia natürlich sofort, dass irgendwas nicht stimmte. Sie kannte Roland einfach zu gut.
"Ihr verheimlicht mir doch was.", sagte sie ohne Umschweife.
Roland zögerte. "Das kann man so nicht sagen...", versuchte er sich rauszureden. Martin sah ihn ein wenig vorwurfsvoll an.
"Jetzt lasst euch doch bitte nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Ich merke doch, dass hier etwas nicht stimmt!", Pia ließ nicht locker.
"Also gut...", begann Roland."Das Labor arbeitet auf Hochtouren, aber es sieht nicht so aus, als ob sie den Erreger bald finden. Die üblichen Tests sind schon alle durch."
"Und jetzt?", Pia sah Roland und Martin unsicher an.
"Wir haben ihr zunächst ein Breitbandantibiotikum verabreicht", erklärte Martin. "Jetzt müssen wir auf die Ergebnisse hoffen."
"So ist es.", bestätigte Roland, da Pia ihn ungläubig ansah.
"Ich wollte noch mal ins Labor, gucken ob es was Neues gibt.", sagte Martin. "Bleibt ihr noch einen Augenblick hier?"
"Ja, wir warten.", sagte Roland, nahm sich einen Hocker und setzte sich ebenfalls an Kathrins Krankenbett.
"Heißt das, ihr seid euch gar nicht sicher, dass Kathrin wieder gesund wird?", fragte Pia weiter.
"Das heißt es wohl, ja." Roland blickte zu Boden.
"Nein..." Pia war entsetzt. "Und ihr wisst nicht, was sie hat?"
Roland schüttelte den Kopf. Er konnte Pia nicht in die Augen sehen. Er ahnte, dass wieder die Angst darin liegen musste, die er während seiner Krankheit ständig in ihren Augen gesehen hatte.
"Nimmst du mich mal in den Arm?", fragte Pia leise.
Roland biss sich auf die Lippe, um die Fassung zu wahren. Dann trat er von hinten an Pia heran und legte seine Arme fest um sie.
"Das kann doch alles gar nicht wahr sein. Gestern haben wir noch eine gemeinsame Radtour gemacht und jetzt...", Pia konnte den Satz nicht zu Ende bringen.
"Wir werden alles versuchen.", versprach Roland und versuchte, etwas Zuversicht in seine Stimme zu legen.
Kurze Zeit später kam auch Martin wieder.
"Und, haben die endlich was gefunden?", wollte Roland wissen.
Doch Martin schüttelte nur den Kopf...
"Das kann doch gar nicht sein!", Roland war aufgestanden und ging unruhig hin und her.
"Die Blutanalyse läuft noch... aber das Antibiotikum scheint nicht zu wirken.", stellte Martin fest.
"Nein, das Fieber ist unverändert hoch und der Kreislauf spielt immer noch verrückt.", antwortete Roland.
Martin sah auf die Uhr. "Simoni wird gleich hier sein, wir müssen ihn noch informieren. Vielleicht hat er eine Idee."
"Gut, das übernehme ich, bleib du hier. Pia, was ist mir dir?"
"Ich bleibe auch hier.", sagte sie, ohne Kathrin aus den Augen zu lassen.
Roland verließ die Intensivstation und machte sich auf den Weg zu Simonis Büro. "Ist der Professor schon da?", fragte er Barbara.
"Guten Morgen, Dr. Heilmann.", begrüßte sie ihn. "Nein, Professor Simoni ist noch nicht da, aber er müsste jeden Moment eintreffen. Soll ich ihm etwas ausrichten?"
"Danke Barbara, aber ich muss selbst mit ihm sprechen." Er sah sich nervös um. "Kann ich hier warten?"
"Ja, natürlich." Barbara bot ihm einen Stuhl an. "Sie sehen nicht gut aus, Dr. Heilmann, ist etwas passiert?" Sie nahm eine Tasse und schenkte Tee für Roland ein. "Hier, trinken Sie das."
"Haben Sie es noch nicht mitbekommen?", fragte Roland und nahm einen Schluck.
"Nein, was denn?" Barbara sah ihn fragend an.
"Wir haben Frau Dr. Globisch heute Nacht hergebracht. Sie war bewusstlos, als wir sie fanden, und hat sehr hohes Fieber. Wir sind im Moment ziemlich ratlos."
"Oh Gott, das ist ja furchtbar!" Barbara war entsetzt. "Ich.... ich denke, der Professor müsste wirklich gleich hier sein. Sagen Sie... haben Sie Frau Globischs Eltern und ihren Sohn informiert?"
Roland erschrak. "Nein, das hab ich ja komplett vergessen..." Er sah Barbara hilfesuchend an.
"Moment, ich suche Ihnen die Nummern heraus."
Während Barbara die Telefonnummern heraussuchte, betrat Professor Simoni gut gelaunt das Vorzimmer. "Guten Morgen!"
Als Roland und Barbara nur flüchtig zurückgrüßten, wurde seine Miene ernster.
"Was ist denn mit Ihnen los?", fragte er und schien sehr verwundert.
"Können wir das vielleicht in Ihrem Büro besprechen?", fragte Roland.
"Natürlich. Kommen Sie gleich mit, Heilmann.", Simoni gab Roland den Vortritt, schloss die Tür und deutete auf das Sofa. "Nehmen Sie Platz."
Roland schilderte dem Professor detailliert was geschehen war und was Martin und er bis jetzt unternommen hatten.
Auch der Professor konnte dies nicht so recht begreifen. "Ich würde mir gerne selbst ein Bild von Frau Globischs Zustand machen.", er stand auf und verließ gefolgt von Roland sein Büro.
"Dr.Heilmann, hier ist die Telefonnummer von Frau Globischs Eltern.", sagte Barbara.
"Danke. Ich kümmere mich gleich darum.", antwortete Roland.
"Wenn noch etwas sein sollte, Sie finden uns auf der Intensivstation, Barbara.", fügte der Professor noch hinzu, bevor er das Büro verließ.

Roland bat Pia, draußen zu warten, während Martin und er zusammen mit Professor Simoni Kathrin nochmal untersuchten. Pia lehnte sich vor dem Zimmer an die Wand und schloss die Augen. Die vergangenen Stunden liefen wie ein Film an ihr vorbei. Langsam rutschte sie an der Wand entlang auf den Boden und blieb mit geschlossenen Augen dort sitzen. Eine einzelne Träne lief über ihre Wange. Sie hatte große Angst um ihre Freundin. Wenn wenigstens klar wäre, was ihr fehlte, dann könnte ihr geholfen werden. Aber so.... wer weiß, wie lange Roland und die anderen noch im Dunkeln tappen würden.
Pia hörte, wie jemand die Tür öffnete und wieder schloss. Als die Person sich vor sie kniete und sie in den Arm nahm, spürte sie, dass es Roland war. Ohne die Augen zu öffnen, vergrub sie ihr Gesicht an seiner Schulter. Eine Weile harrten sie in dieser innigen Umarmung aus. Pia war froh, dass Roland bei ihr war.
"Was sagt Simoni?", fragte sie dann.
"Um ehrlich zu sein... er weiß im Moment auch nicht weiter.", gab Roland zu.
"Ja und jetzt? Es muss doch irgendetwas geben, was Kathrin helfen könnte. Die Medizin ist doch schon so weit fortgeschritten.", Pia konnte nicht glauben, dass sie wirklich so hilflos waren.
"Wenn wir etwas wüssten, würden wir es mit Sicherheit tun.", antwortete Roland leise und nahm Pia nochmals fest in den Arm. "Ich hab Simoni versprochen, Kathrins Eltern zu informieren.", sagte er danach.
Daran hatte Pia bis jetzt auch noch nicht gedacht.
"Ja, sie müssen es ja schließlich erfahren...", Pia stand langsam auf und sah durch das Fenster. Der Professor und Martin überprüften nun alle Geräte.
"Am besten kommst du erstmal mit. Die Untersuchungen dauern noch eine Weile.", erklärte Roland, legte den Arm um Pias Schulter und führte sie hinaus.
Das nächste Telefon war im Schwesternzimmer, also rief Roland von dort aus bei Kathrins Eltern an.
"Globisch?", meldete sich ihre Mutter.
"Hier spricht Roland Heilmann, guten Tag Frau Globisch."
"Herr Dr. Heilmann!" Eva Globisch war verwundert. "Ist etwas passiert?"
"Leider ja." Roland zögerte einen Moment. "Kathrin liegt mit rätselhaften Symptomen hier in der Klinik."
"WAS?", rief Eva entsetzt. "Was bedeutet rätselhaft?"
"Es begann gestern wie eine einfache Grippe... heute Nacht hat sie dann bei uns angerufen, währenddessen wurde sie bewusstlos. Wir haben sie sofort in die Klinik gebracht. Sie hat noch immer hohes Fieber und liegt auf der Intensivstation." Vom anderen Ende der Leitung kam keine Reaktion. "Frau Globisch, sind Sie noch da?", fragte Roland.
"Ja... ja, ich bin noch da, entschuldigen Sie." Eva klang sehr durcheinander. "Wir werden gleich den nächsten Flug nehmen. Danke, Dr. Heilmann." Mit diesen Worten legte sie auf.
"Es gibt also immer noch nichts Neues?", fragte die Oberschwester, die das Telefonat teilweise mitbekommen hatte und mittlerweile natürlich wusste was geschehen war.
"Nein, leider nicht", sagte Roland verzweifelt. "Haben Sie meine Frau gesehen?", erkundigte er sich, als er bemerkte, dass Pia nicht mehr im Zimmer war.
"Ja, sie ist mir eben entgegengekommen und wollte mal an die frische Luft", antwortete Ingrid.
"Dann werde ich mal nach ihr sehen. Wenn es Neuigkeiten gibt, piepen Sie mich bitte an, Oberschwester", bat Roland.
"Natürlich", sagte sie.

Roland sah erst draußen vor dem Haupteingang und im Salon nach, fand Pia aber nicht. Er machte kurz einen Abstecher in die Cafeteria. "Charlotte, hast du Pia gesehen?", fragte er.
"Nein, tut mir leid.", antwortete Charlotte.
"Mist. Trotzdem danke, Charlotte." Roland war schon wieder auf dem Weg nach draußen.
Charlotte sah ihm kopfschüttelnd hinterher. Eigentlich hatte sie sich ja noch nach Kathrin erkundigen wollen, aber er hatte es offensichtlich sehr eilig.
Roland fiel wieder ein, dass die Oberschwester etwas von frischer Luft gesagt hatte, und so sah er als nächstes im Klinikgarten nach. Er fand Pia nicht gleich, doch dann entdeckte er sie am anderen Ende des Gartens auf einer Bank. Er ging zu ihr und setzte sich neben sie.
"Ach, hier bist du. Ich hab dich schon überall gesucht", er legte den Arm um Pia.
"Hast du Kathrins Eltern erreichen können?", wollte sie wissen.
"Ja, sie nehmen gleich den nächsten Flug", antwortete Roland.
"Das ist verständlich", Pia ahnte wie Kathrins Eltern sich im Moment fühlten.
"Vielleicht schaffen sie es, heute Abend hier zu sein", meinte Roland.
Die Zwei blieben noch eine Weile auf der Bank sitzen. Pia hatte ihren Kopf an Rolands Schulter gelehnt und sie hingen ihren Gedanken nach. Durch den Pieper wurden sie aufgeschreckt.
"Das kann nur die Oberschwester sein. Sie sollte mich anpiepen wenn was mit Kathrin ist", erklärte er hastig und stand auf.
Gemeinsam eilten Pia und Roland Richtung Intensivstation.
Sie wurden bereits von Arzu empfangen, die ihnen grüne Kittel bereithielt.
"Was ist passiert?", fragte Roland.
"Dr. Globisch ist aufgewacht.", antwortete Arzu.
"Was?" Roland band seinen Umhang flüchtig zu und ging schnell in das Zimmer. "Kathrin!", rief er und trat an ihr Bett.
"Roland!" Kathrin lächelte schwach.
Roland strich ihr sanft über die Wange. "Wie geht's dir?"
"Weiß nicht.... was ist mit mir?" Kathrin sah ihn fragend an.
"Du bist letzte Nacht bewusstlos zusammengebrochen.", erklärte Roland. "Kannst du dich an irgendetwas erinnern?"
"Naja... mir gings nicht gut, ich hab mich hingelegt.... aber dann..." Kathrin musste husten. "... was dann war, weiß ich nicht."
Roland nickte. In dem Moment trat Pia neben ihn. "Hallo, Kathrin.", sagte sie leise. "Schön, dass du wieder wach bist. Wir haben uns Sorgen gemacht!"
"Braucht ihr nicht.", wehrte Kathrin ab. "Ich komm schon wieder auf die Beine."
Roland hielt Kathrin einen Becher Wasser hin. "Trink mal was, Kathrin.", forderte er sie auf. "Du hast ziemlich hohes Fieber, da brauchst du viel Flüssigkeit."
Sie trank einen kleinen Schluck, danach sank sie wieder in die Kissen, man sah ihr die Erschöpfung an. "Wie... wie seid ihr eigentlich in die Wohnung gekommen?"
"Pia hat deinen Nachbarn aus dem Bett geklingelt", erklärte Roland. "Aber das ist jetzt gar nicht so wichtig. Du solltest noch nicht so viel sprechen."
Kathrin nickte. Kurz darauf schlief sie wieder ein.
Roland bemerkte, dass der Professor durch das Fenster sah, auch Pia blickte auf.
"Geh nur, ich bleibe noch einen Moment hier", flüsterte Pia.
Simoni wollte sich über Kathrin Zustand erkundigen. Roland berichtete, dass sie kurz wach gewesen sei.
"Sie ist noch sehr geschwächt, aber ansonsten wirkte sie sehr klar", gab Roland dem Professor Auskunft.
"Aber aus dem Labor gibt es immer noch keine Anhaltspunkte?", fragte er nach.
"Nein, nichts...", gab Roland zu.
"Dr. Globisch sollte davon zunächst nichts erfahren", sagte Simoni.
"Das sehe ich auch so. Aber vielleicht klärt sich bald alles", ergänzte Roland nun wieder optimistischer.
"Sie haben aber keinen Verdacht, von dem ich nichts weiß, oder?", fragte der Professor misstrauisch.
"Nein, natürlich nicht.", wehrte Roland ab. "Ich bitte Sie, Herr Professor."
"Entschuldigung. Ich weiß natürlich, dass Sie mich sofort informieren würden. Aber ich bin auch etwas angespannt in dieser Situation... es kann doch nicht sein, dass wir schon so viele Menschen geheilt haben, aber unserer eigenen Kollegin nicht helfen können?!"
Roland sah seinen Chef nachdenklich an. "Das denke ich mir auch die ganze Zeit... Wir müssen einfach herausfinden, was mit ihr los ist. Ich werde ihr nochmal eine Blutprobe entnehmen. Irgendwann müssen die im Labor ja was finden!"
Simoni nickte. "Es ist wirklich seltsam, dass bisher bei keinem der Tests etwas herauskam. Ich grübele die ganze Zeit, ob wir nicht schonmal einen ähnlichen Fall hatten, an dem wir uns orientieren könnten. Aber mir fällt nichts ein."
"Ich werde mal einige alte Akten durchsehen.", schlug Roland vor. "Vielleicht finden wir etwas!" Er verabschiedete sich von Simoni und ging zurück zu Pia.
„Ich müsste nochmal ins Ärztezimmer.", erklärte er. „Willst du mitkommen?"
„Ja, warum nicht." Pia stand auf. Dabei wurde ihr leicht schwindelig. Doch das Gefühl verschwand schnell wieder und sie erwähnte Roland gegenüber nichts. Sie wollte ihn nicht beunruhigen.
Gemeinsam gingen sie ins Ärztezimmer. Pia machte es sich auf der Couch bequem, während Roland im Schrank einige Akten suchte.
„Was machst du denn?", fragte Pia.
„Ich will mal nachsehen, ob wir nicht schonmal so einen Fall hatten."
„Kann ich dir etwas helfen?"
„Erstmal nicht, danke."
Nach einiger Zeit beschloss Pia, in den Salon zu gehen, da sie den Kundinnen am Nachmittag nicht abgesagt hatte.

Gegen Abend schloss Pia den Salon ab und ging zurück ins Ärztezimmer. Roland saß noch genauso da wie vorher und durchsuchte die Akten.
„Hast du nochmal nach Kathrin geschaut?", fragte sie.
„Ja, klar. Aber alles unverändert." Roland seufzte. „So ein Mist." Er klappte die Mappe vor sich frustriert zu und nahm die nächste von dem Stapel.
„Hast du Hunger?", fragte Pia nach einer Weile.
Roland schüttelte den Kopf.
„Wir müssen aber was essen. Ich hab auch keinen Appetit, aber... das stehen wir sonst nicht durch. Komm, wir gehen mal runter zu Charlotte, bevor die Cafeteria für heute schließt."
Roland zuckte mit den Schultern. „Na gut, wenn du meinst."

„Hallo Charlotte." Die beiden begrüßten sie mit einem schwachen Lächeln. „Kriegen wir noch was zu Essen?"
„Klar. Wie geht's euch denn?"
„Uns?", fragte Roland. „Das ist doch jetzt nicht wichtig."
„Natürlich ist das wichtig. Was bringt es Kathrin, wenn ihr euch so gehen lasst."
„Du hast ja Recht, Charlotte.", sagte Pia. „Deshalb sind wir jetzt auch hier, um etwas zu essen, obwohl uns eigentlich nicht danach ist."
„Da hab ich was für euch.", sagte Charlotte lächelnd. „Vom Mittagsmenü ist noch etwas Gemüseauflauf da. Der ist schön leicht und geht auch ohne Appetit gut runter. Setzt euch doch schonmal, ich hole ihn aus der Küche."
Pia und Roland setzten sich an einen Tisch nahe der Theke. Roland stützte den Kopf in die Hände und seufzte. „Ich habe nichts gefunden in den Akten. Überhaupt nichts."
Pia nahm seine Hand und küsste sie. „Die Untersuchungen im Labor werden sicherlich bald etwas ergeben." Sie versuchte, ihm Mut zu machen.
Roland schüttelte den Kopf. „Über Nacht läuft da unten sowieso nichts."
In dem Moment betrat Martin die Cafeteria und kam an ihren Tisch.
„Hallo ihr beiden."
„Martin!", begrüßte Pia ihn. „Setz dich doch."
„Ja, danke." Martin ließ sich erschöpft auf einen Stuhl fallen.
„Du siehst geschafft aus, Martin.", bemerkte Roland.
Martin nickte. „Ich bin seit gestern Morgen im Dienst."
„Dann gehst du jetzt mal nach Hause und ruhst dich aus.", riet Roland ihm. „Ich bleibe hier."
„Aber du musst doch auch mal schlafen.", widersprach Martin.
„Ich bin immerhin erst seit heute Nacht hier. Keine Widerrede, du gehst nach Hause."
„Okay." Martin gab sich geschlagen. „Aber pass mir auf Kathrin auf, ja?"
„Klar, was denkst du denn."
Charlotte hatte in der Zwischenzeit den Auflauf aufgewärmt und servierte den beiden das Essen.
"Danke, Charlotte", sagte Pia.
"Es gibt also immer noch nichts Neues", fragte Charlotte besorgt.
Roland schüttelte den Kopf. "Nein... nichts."
"Das tut mir leid", sagte Charlotte betrübt.
Danach wurde nicht mehr viel geredet. Pia und Roland stocherten in ihrem Essen herum.
"Ich mache euch noch eine Tasse Kaffe", bot Charlotte an.
"Das wär lieb", antwortete Pia.
"Soll ich dich gleich mit nach Hause nehmen?", erkundigte sich Charlotte.
Pia schaute Roland kurz an. "Nein, ich bleib noch ein bisschen hier. Könntest du dich um Jonas kümmern?"
"Aber klar", Charlotte ging hinter den Tresen und bereitete den Kaffee zu.
Schweigend tranken Pia und Roland den Kaffee. Charlotte sorgte derweil in der Küche für Ordnung. Als sie fertig war, verabschiedete sie sich von den beiden.
"Wollen wir nochmal an die frische Luft?", schlug Pia vor.
"Ja, das ist keine schlechte Idee", stimmte Roland zu.
Er hatte einen Arm um Pias Schulter gelegt und sie schlenderten durch den Klinikgarten. Roland spürte, dass Pia sehr besorgt war.
"Mach dir nicht so viele Sorgen, Pia."
"Na du bist gut." Pia sah ihn an. "Du machst dir doch auch welche."
Roland fühlte sich ertappt und nickte fast unmerklich. "Ich muss gerade an Maia denken.", sagte er dann.
"An Maia?", fragte Pia nun doch etwas erstaunt. "Du glaubst also, dass Kathrin...?", sie konnte und wollte nicht weiter sprechen.
"Ich weiß mittlerweile gar nicht mehr, was ich glauben soll... was wir noch glauben können... wir finden einfach keine Lösung...", Roland sprach nun ganz offen über seine Ängste. "Damals... Maia ist unter unseren Händen gestorben... wir standen da und konnten einfach nichts unternehmen... Achim und ich haben uns geschworen, dass uns so etwas nie wieder passieren wird..."
"Ihr habt bei Maia keinen Fehler gemacht. Wenn du das jetzt meinst", versuchte Pia ihn trotzdem aufzubauen.
"Es geht nicht darum ob wir einen Fehler gemacht haben oder nicht. Das schlimmste ist diese Ungewissheit und diese Hilflosigkeit", erklärte Roland.
Pia schwieg einen Moment, dann sah sie Roland an und sagte: "Kathrin ist stark! Ihr werdet ihr helfen können."
Roland zuckte mit den Schultern. "Da bin ich mir gerade nicht mehr so sicher."
Pia strich ihm sanft mit der Hand über den Rücken. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es kam selten vor, dass Roland so an seinen medizinischen Fähigkeiten zweifelte!
"Ihr seid die beste Klinik in ganz Leipzig.", versuchte sie dann, ihn aufzubauen. "Und das nicht umsonst! Ihr seid doch alle tolle Ärzte, ihr werdet Kathrin helfen können!"
"Vielleicht sollte ich Achim um Hilfe bitten?" Roland sah sie fragend an.
"Wenn es euch hilft... ruf ihn doch gleich mal an. Wie ist die Zeitverschiebung nach Kolumbien?"
„6 Stunden.... es ist jetzt 19 Uhr, also ist es dort gerade mal 1 Uhr morgens.", rechnete Roland. "Ich muss wohl noch ein bisschen warten."
Pia nickte nachdenklich.
„Willst du heute Nacht hier bleiben?", fragte sie nach einer Weile.
„Ja, auf jeden Fall."
„Dann bleibe ich auch."
Roland sah Pia an. „Nein, du gehst nach Hause."
„Ich bleibe hier." Pia blieb standhaft. „Ich will bei Kathrin sein. Und bei dir."
„Pia, sei doch vernünftig.", versuchte Roland, sie zu überzeugen.
„Vernünftig." Pia machte eine wegwerfende Handbewegung. „Was heißt das schon? Ist es vernünftig, dass du dir hier die Nächte um die Ohren schlägst? Und sag jetzt nicht, dass du als Arzt die Verantwortung hast."
„So ist es aber."
„Nein. Es würde reichen, wenn der Arzt da wäre, der gerade Dienst hat. Oder vertraust du deinen Kollegen nicht?"
„Doch, natürlich. Aber –"
Pia legte einen Finger auf seine Lippen. „Pssst. Du musst dich nicht rechtfertigen, ich verstehe dich nur zu gut. Aber genau deshalb möchte ich auch hier bleiben."
Roland nickte. „In Ordnung." Er zögerte einen Moment. „Um ehrlich zu sein.... Um ehrlich zu sein, bin ich ganz froh, dich bei mir zu haben.", sagte er dann.

Am nächsten Morgen fand sich Pia auf der Couch im Ärztezimmer wieder. Sie wusste nicht so recht, wie sie dort hin gekommen war. Sie war noch lange mit Roland zusammengesessen, er hatte weitere Akten durchgesehen, und immer wieder waren sie zu Kathrin gegangen und hatten nach ihr gesehen. Doch ab einem bestimmten Zeitpunkt konnte sich Pia an nichts mehr erinnern, vielleicht war sie an Kathrins Bett eingeschlafen, sie wusste es nicht. Vermutlich hatte Roland sie hierher gebracht. Roland... wo war er überhaupt? Verschlafen sah Pia sich um. Es war niemand außer ihr im Raum. Sie schob die Decke weg und stand auf. Im Vorraum saß Dr. Brentano am Computer.
„Guten Morgen, Dr. Brentano."
Philipp sah auf. „Frau Heilmann! Wie kommen Sie denn hierher?"
„Das weiß ich auch nicht so genau.", antwortete Pia leicht amüsiert. „Wissen Sie, wo mein Mann ist?"
„Nein, tut mir leid. Schauen Sie doch mal in seinem Büro nach."
Pia nickte. „Das werde ich tun." Sie atmete tief durch. „Irgendwie ist die Luft hier so komisch, finden Sie nicht auch?"
"Nee, eigentlich nicht", Philipp sah Pia prüfend an. "Am Besten gehen Sie mal an die frische Luft und trinken vielleicht eine Tasse Kaffee. Ich habe den Eindruck, Sie sind ziemlich übermüdet!"
"Das wird es sein", Pia ging zur Tür, verabschiedete sich von Philipp und ging dann langsam in Richtung Fahrstuhl. Ihr war tatsächlich etwas schwummrig. Im Fahrstuhl lehnte sie sich erschöpft an die Wand und schloss die Augen. Sie atmete einige Male tief ein und aus. Unten angekommen, ging sie auf direktem Wege in die Cafeteria. Charlotte sah sie bereits von weitem kommen. "Pia!", rief sie ihr entgegen.
"Hallo Charlotte.", antwortete Pia und lächelte matt. "Machst du mir bitte einen schwarzen Tee?"
"Natürlich. Setz dich doch schonmal, ich bringe ihn dir dann."
Pia nickte dankbar und setzte sich an einen freien Tisch.
Kurz darauf brachte Charlotte ihr den Tee und setzte sich zu ihr.
"Danke.", sagte Pia und zog die Tasse zu sich hin.
"Wie geht es Frau Dr. Globisch?", fragte Charlotte. „Warst du etwa die ganze Nacht hier?"
"Ja. Ich bin grade aufgewacht, ich weiß gar nicht, wo Roland ist. Wahrscheinlich geht es ihr noch nicht besser.", antwortete Pia und seufzte. "Die finden einfach nichts. Roland ist völlig ratlos."
"Hat er das gesagt?"
"Nicht direkt." Pia schüttelte den Kopf. "Aber ich kenne ihn. So habe ich ihn selten erlebt."
"Ist ihr Zustand denn wenigstens stabil?", fragte Charlotte.
"Ich glaube schon." Pia nahm einen Schluck von ihrem Tee und sah nachdenklich aus dem Fenster.
Nachdem Pia den Tee ausgetrunken hatte, verabschiedete sie sich von Charlotte und machte sich auf die Suche nach Roland. Sie klopfte an die Bürotür.
„Herein", antwortete Roland.
„Ich bin´s. Da bist du ja."
„Pia!" Roland ging um den Schreibtisch herum und gab ihr einen Kuss. „Hast du gut geschlafen?"
Pia zuckte mit den Schultern. „Ich fühle mich wie gerädert. Und du?"
„Ich hab kein Auge zugetan. Kathrin geht mir nicht aus dem Kopf"
„Ist doch klar. Wir machen uns alle Sorgen", sagte Pia einsichtig.
„Du siehst aber wirklich mitgenommen aus", stellte Roland fest.
„Ich bin nur müde, sonst ist nichts...", wehrte Pia ab.
„Geh nach Hause und leg dich hin", forderte er sie auf.
„Das ist wirklich nicht nötig", Pia wollte jetzt nicht nach Hause, sie wollte in Kathrins Nähe bleiben.
„Ich bleibe hier. Wenn sich etwas ändert, rufe ich sofort an", versprach Roland.
„Ich weiß nicht...", so schnell ließ Pia sich nicht überzeugen.
„Aber ich! Kathrin schläft, da kannst du ihr nicht helfen", er ließ nicht locker.
„Na gut, wenn du meinst", Pia gab sich geschlagen.
Roland nahm sie in den Arm, gab ihr einen Kuss und dann verließ Pia die Klinik.

Draußen vor der Tür musste sie kurz stehen bleiben und sich sammeln; ihr war immer noch schwindelig. Doch an der frischen Luft ging es ihr schnell wieder besser und Pia war sich sicher, dass das Unwohlsein von ihrer Müdigkeit kam. Sie machte sich auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle, da sie das Auto in der Nacht bei Kathrin stehengelassen hatten. Die Haltestelle war nicht weit entfernt, und sie hatte Glück, der Bus kam nach kurzer Zeit. Pia stieg ein und ließ sich auf einen der Sitze fallen. Sie hatte das Gefühl, ewig nicht mehr gesessen zu haben, obwohl das gar nicht stimmte. Aber ihre Beine fühlten sich seltsam schwer an.
Nach der vierten Station musste sie aussteigen. Der Bus fuhr langsamer und sie ging zur Tür. Beim Verlassen des Busses überkam sie erneut dieses jähe Schwindelgefühl, sie verlor die Kontrolle und stürzte. Zum Glück hatte der Busfahrer alles gesehen. Er kümmerte sich sofort um sie.
"Ihnen geht es aber gar nicht gut", sagte er überflüssigerweise. "Sie sollten in ein Krankenhaus", ohne Pias Antwort abzuwarten, nahm er sein Handy und wählte die Notrufnummer. Anschließend half er Pia auf und führte sie zur Rückbank des Busses, dort konnte sie sich hinlegen. Auch der Rettungswagen ließ nicht lange auf sich warten. Der Notarzt, Dr. Schäfer, versorgte sie und brachte sie zurück in die Sachsenklinik.
"Frau Heilmann!", rief die Oberschwester entsetzt, als Pia aus dem Rettungswagen ausgeladen wurde. "Was ist denn mit Ihnen passiert?"
"Sie ist an der Bushaltestelle zusammengebrochen.", erklärte Dr. Schäfer. "Der Puls ist ziemlich hoch, und sie hat wohl Temperatur."
"Dr. Eichhorn, kommen Sie schnell!", rief Ingrid Elena zu, die gerade die Notaufnahme betrat. "Frau Heilmann ist gerade gebracht worden. Ähnliche Symptome wie bei Dr. Globisch."
Elena warf kurz einen Blick auf Pia und zog sich währenddessen die Gummihandschuhe an. "Sofort in den Schockraum!", ordnete sie an. "Geben Sie Dr. Heilmann bescheid, und holen Sie den Professor!"
"Nein...", sagte Pia schwach.
Die Oberschwester beugte sich über sie. „Was ist, Frau Heilmann?
"Mein Mann soll nichts erfahren..."
"Frau Heilmann, das geht doch nicht.", redete Ingrid auf Pia ein. "Wie sollen wir das denn vor ihm geheim halten?"
Pia zuckte fast unmerklich mit den Schultern, dann schloss sie die Augen.
"Frau Heilmann?", fragte Elena, doch Pia reagierte nicht. "Verdammt, sie kippt uns weg!" Elena begann, ihr vorsichtig auf die Wangen zu klopfen. "Frau Heilmann, aufwachen!", rief sie.
Langsam öffnete Pia wieder die Augen. Dr. Eichhorn hatte ihr eine Spritze gesetzt.
"Frau Heilmann, verstehen Sie mich?", vergewisserte sich Elena zur Sicherheit.
Pia nickte.
"Ich habe Ihnen ein Medikament verabreicht. Ihr Kreislauf muss sich wieder stabilisieren und die Temperatur muss gesenkt werden. Wir werden jedoch nicht auf weitere Untersuchungen verzichten können. Womöglich gibt es zwischen Ihren und Frau Dr. Globischs Beschwerden einen Zusammenhang", fasste Elena die Lage zusammen. "Ihren Mann haben wir übrigens noch nicht informiert."
Im selben Moment wurde die Tür geöffnet.
"Oberschwester, ich suche Sie schon überall, könnten Sie...", Roland verstummte, als er Pia auf der Liege sah. „Pia! Wie... was..."
Dr. Eichhorn berichtete ihm nun, was vorgefallen war.
"Können Sie uns bitte einen Moment alleine lassen?", bat Roland.
"Natürlich", gemeinsam mit Ingrid verließ Elena den Schockraum.
Roland setzte sich zu Pia und nahm ihre Hand.
"Mensch, wieso hast du denn nichts gesagt? Dir muss es doch schon den ganzen Tag schlecht gegangen sein", sagte Roland.
"Ich wollte einfach nicht, dass du dir noch mehr Sorgen machen musst. Außerdem dachte ich, dass es wirklich nur die Erschöpfung sei..."
Roland legte seine Hand auf Pias Stirn. "Haben die schon Fieber gemessen?", fragte er.
"Weiß nicht."
"Tut dir etwas weh?", fragte Roland weiter.
"Hmm... ich fühle mich wie erschlagen.... und mein Bauch ist komisch.", erklärte Pia.
"Dein Bauch?"
Pia nickte.
Roland schob ihr T-Shirt hoch. "Darf ich?"
"Klar. Was'n das für eine Frage." Pia lächelte schwach.
Sanft begann Roland, Pias Bauch abzutasten. "Ich fühle nichts...", sagte er nachdenklich. "Wir sollten ein Ultraschall machen." Er stand auf, um Elena und Ingrid zu holen.
Elena und Roland führten die Ultraschalluntersuchung durch.
"Und?", Pia war ungeduldig.
"Es ist nichts auffälliges zu erkennen", antwortete Elena.
"Wir werden dir auf jeden Fall Blut abnehmen", fügte Roland hinzu.
"Das hab ich mir schon gedacht", Pia klang nicht sehr begeistert.
"Und du bleibst heute Nacht in der Klinik", sagte Roland.
"Ne... Roland, bitte", Pia richtete sich leicht auf.
"Bleib liegen", sanft aber bestimmt drückte Roland sie wieder auf die Liege. "Wir wollen auf Nummer sicher gehen."
"Das geht aber nicht... Jonas, kann...", Pia versuchte alles.
"Charlotte wird sich bestimmt um ihn kümmern", meinte Roland.
"Wie du meinst", schließlich siegte Pias Vernunft und Rolands Argumenten hatte sie auch nichts mehr entgegenzusetzen.
"Dr. Heilmann, Zimmer 109 ist frei", informierte ihn die Oberschwester.
"Danke.", antwortete Roland. "Würden Sie bitte einen Rollstuhl herbringen, dann bringe ich meine Frau selbst auf ihr Zimmer."
"Jetzt komm, gehen kann ich schon noch selber!", beschwerte sich Pia.
"Kommt nicht in Frage. Ich will kein Risiko eingehen. Nicht, dass du nochmal zusammenklappst!"
Pia verdrehte die Augen. "Schon gut, Herr Chefarzt."
In dem Moment brachte Ingrid den Rollstuhl. Roland hob Pia vorsichtig hoch und setzte sie hinein. Dann schob er sie in ihr Zimmer.
Roland blieb noch eine Weile bei Pia. Später klopfte es an der Tür und die Oberschwester kam herein.
"Doktor Heilmann, ich soll Ihnen sagen, dass die Eltern von Frau Doktor Globisch eingetroffen sind. Sie sind am Empfang."
"Danke Oberschwester, ich komme. Ich sehe gleich nochmal nach dir", wandte er sich an Pia und gab ihr einen Kuss.
"Bis gleich", antwortete Pia.
Roland holte Kathrins Eltern ab und führte sie in sein Büro.
"Was ist denn nun mit unserer Tochter?", Eva Globisch war sehr besorgt.
"Ihr Zustand ist im Moment relativ stabil. Kathrin war im Laufe des Tages kurz ansprechbar", erklärte Roland.
"Können Sie uns denn sagen, was ihr fehlt?", fragte Frau Globisch.
"Es stehen noch einige Laborergebnisse aus", Roland wollte nicht, dass die Eltern sofort erfuhren, dass noch immer keine Ursache gefunden werden konnte.
"Ich würde sie gerne sehen", meldete sich Kathrins Vater zu Wort. "Ist das möglich?"
"Natürlich. Ich begleite Sie", sagte Roland.
Roland brachte die beiden auf die ITS, wo sie auf Martin trafen, der bei Kathrin gerade die Geräte kontrollierte. "Das ist Dr. Stein.", stellte Roland ihn vor. "Martin, das sind Kathrins Eltern."
"Guten Tag." Martin gab den beiden die Hand. "Gut, dass Sie so schnell kommen konnten. Dr. Heilmann hat Sie ja sicherlich schon über alles informiert."
"Ja, danke." Eva Globisch sah Martin gar nicht an, sie war völlig auf Kathrin fixiert. Langsam ging sie auf ihr Bett zu und nahm ihre Hand. "Kathrin...", flüsterte sie. "Kannst du mich hören?"
"Sie schläft.", sagte Roland leise. "Das ist am allerbesten für sie." Er gab Martin ein Zeichen und die beiden verließen das Zimmer.
"Ich komme mir richtig dämlich vor", sagte Roland, als sie draußen waren. "Ich bin hier der Chefarzt und kann den beiden trotzdem nicht sagen, was mit ihrer Tochter ist."
Martin nickte. "Wir müssen endlich den Erreger finden!"
"Und jetzt auch noch das mit Pia...", seufzte Roland.
"Pia? Was ist denn mit ihr?" Martin hatte noch nichts mitbekommen.
"Sie wurde eben eingeliefert. Auf dem Heimweg ist sie zusammengebrochen", brachte Roland Martin auf den neusten Stand.
"Wie geht es ihr denn jetzt?", erkundigte sich Martin.
"Schon wieder etwas besser. Trotzdem wird sie die Nacht in der Klinik bleiben. Das Seltsame an der ganzen Sache ist nämlich, dass Pia dieselben Symptome wie Kathrin hat. Zwar nicht so stark, aber irgendwie...", überlegte Roland.
"Du meinst, dass da eine Verbindung bestehen könnte?", fragte Martin nach.
"Ich bin mir nicht sicher... aber das wär doch alles ein bisschen viel Zufall, oder?", meinte Roland. "Jedenfalls wurde Pia Blut abgenommen und ins Labor gebracht."
"Hoffentlich sind wir danach schlauer. Kathrin war nicht mehr wach und die Werte werden einfach nicht besser, ganz im Gegenteil...", fügte Martin hinzu.
"Dann geh ich jetzt nochmal ins Labor und mache Druck. Irgendwas muss doch zu finden sein...", sagte Roland.
"Gut, ich bleibe hier", Martin sah durch das Fenster.
Bald darauf kam Roland außer Atem zurück. "Die haben was!", rief er und zeigte Martin aufgeregt die Ergebnisse. Martin überflog das Blatt und sah Roland dann erleichtert an. "Endlich. Ich kümmere mich sofort um das Gegenmittel!"
"Mach das. Ich sage in der Zeit Kathrins Eltern bescheid." Roland öffnete die Tür. Er konnte seine Erleichterung kaum verbergen. "Wir haben den Erreger gefunden.", sagte er.
"Wirklich?" Eva Globisch sah ihn ungläubig an. Roland nickte lächelnd.
"Und jetzt?", fragte Harry.
"Es handelt sich um eine Vergiftung, Dr. Stein besorgt gerade das Gegenmittel. Sie müssten dann solange draußen warten, bis wir ihr das Mittel verabreicht haben."
Die beiden nickten verständig und standen auf.
Kurz darauf kam auch Martin wieder. Er zog eine Spritze auf und injizierte Kathrin das Gegenmittel.
"Bald wird es ihr besser gehen", sagte Martin und auch er war sehr erleichtert.
"Ja, das wurde aber auch Zeit", gab Roland zu. Er ging kurz auf den Flur und bat die Eltern wieder herein. "Ihre Tochter ist zwar noch etwas geschwächt, in ein paar Stunden wird es ihr jedoch besser gehen", klärte Roland Eva und Harry auf.
"Sie können ruhig bei ihr bleiben", fügte Martin hinzu.
"Vielen Dank", die Eltern setzten sich an das Krankenbett. Roland und Martin gingen hinaus und verließen die ITS.
"Ich wollte noch kurz nach Pia schauen", teilte Roland seinem Freund mit.
"Mach das", Martin ging Richtung Ärztezimmer.
Leise öffnete Roland die Tür zum Zimmer 109. Pia schien zu schlafen. Er wollte die Tür schon wieder schließen...
"Roland?", fragte Pia verschlafen.
"Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken", er setzte sich zu ihr. "Wie geht es dir?"
"Schon viel besser, wirklich. Und wie geht es Kathrin?", wollte Pia wissen.
"Wir haben endlich den Erreger gefunden", erzählte Roland. "Sie hat bereits das Gegenmittel bekommen, alles wird gut.
"Ehrlich?" Ein Strahlen erschien auf Pias Gesicht. "Komm mal zu mir." Sie streckte ihre Arme nach Roland aus und drückte ihn fest an sich. "Ich wusste, dass ihr es schafft."
Roland erwiderte die Umarmung. "Wenn ich dich nicht hätte, Pia, wirklich..."
Pia lächelte glücklich.
Plötzlich löste Roland sich von ihr und sah sie an. "Bei dir haben die im Labor aber noch nichts gefunden", sagte er besorgt.
"Dann werde ich wohl auch nichts haben", antwortete Pia und nickte ihm aufmunternd zu.
"Hoffentlich" Roland rieb sich übers Gesicht.
"Ich finde, du solltest dich mal hinlegen", meinte Pia. "Du hast gar nicht mehr geschlafen, seit Kathrin hier ist, oder?"
Roland schüttelte den Kopf.
"Dann legst du dich jetzt hierher zu mir und ruhst dich aus. In Ordnung?"
Roland zögerte, musste sich dann aber eingestehen, dass Pia Recht hatte. Er zog sich die Schuhe aus und legte sich neben sie. "Ganz schön eng", knurrte er.
"Na komm, besser als nichts." Pia begann, ihm sanft über die Haare zu streicheln, und kaum hatte Roland die Augen geschlossen, schlief er auch schon ein.

Nach einer Weile wurde Pia von einem Geräusch geweckt. Roland schlief so tief, dass er nichts mitbekam. Erst jetzt begriff Pia was los war.
"Roland! Aufwachen! Dein Pieper geht", versuchte sie ihn zu wecken.
"Was?", er wurde nur langsam wach.
"Dein Pieper", wiederholte Pia.
Roland rappelte sich auf. Als sein Blick auf den Pieper fiel, stockte ihm für einen kurzen Moment der Atem. Es war die ITS.
"Ich... muss... eh... ein Notfall", er versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
Pia sah ihn misstrauisch an. Doch es blieb keine Zeit mehr für Erklärungen. Roland eilte bereits aus dem Zimmer und ließ Pia verdutzt zurück.

Ingrid und Martin waren bereits bei Kathrin, als Roland auf der Intensivstation ankam. "Sie ist ins Koma gefallen.", informierte Martin ihn knapp. Er war konzentriert damit beschäftigt, Kathrins Werte zu kontrollieren.
"WAS?" rief Roland entsetzt. "Das kann doch nicht sein!"
"Ist aber so. Verdammt nochmal, was machen wir denn jetzt?" Martin war vollkommen ratlos.
"Keine Ahnung." Auch Roland war langsam mit seinem Latein am Ende. "Martin?", fragte er dann. "Ich habe mir überlegt, mal Achim anzurufen. Deinen Vorgänger."
"Warum?"
"Naja... wir wissen beide nicht weiter... und Achim ist ein hervorragender Arzt. Außerdem - er steht in Kathrins Patientenverfügung."
Martin schwieg einen Moment.
"Wenn das so ist...", sagte er nachdenklich.
"Dann werde ich ihn jetzt anrufen", Roland sah Kathrins Eltern vor dem Zimmer warten. "Könntest du mit ihnen reden? Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren."
"Natürlich, geh du nur", Martin war nicht wohl dabei den Eltern gegenübertreten zu müssen. Doch als Arzt war es seine Pflicht ihnen Auskunft zu geben, so schwer es ihm auch fiel.
Derweil war Roland in seinem Büro angekommen. Zögerlich wählte er Achims Nummer...
"Hallo Achim, hier ist Roland", meldete er sich.
"Das ist ja eine Überraschung!", freute sich Achim. "Wie geht es euch?"
"Naja... deswegen rufe ich an", druckste Roland herum. "Wir bräuchten deine Hilfe, dringend."
Roland schilderte seinem Freund genau was bisher geschehen war und was sie unternommen hatten.
"Von hier aus ist das natürlich schwer zu sagen... aber... warte mal einen Moment", Achim legte den Hörer beiseite und Roland hörte, dass er sich mit jemanden absprach.
"Roland, ich komme. Der nächste Flug geht heute Abend. Morgen könnte ich in der Klinik sein."
"Danke Achim", sie verabschiedeten sich.

Roland legte den Hörer auf und stütze nachdenklich den Kopf in die Hände. Einerseits war er froh, dass Achim auf dem Weg nach Leipzig war, andererseits wusste er aber nicht, ob er ihnen wirklich helfen konnte. Er blieb noch eine Weile so sitzen und hing seinen Gedanken nach. Dann ging er zurück zu Pia.
"Was ist mit Kathrin?", fragte sie ihn, sobald er eingetreten war.
"Nichts.", antwortete er knapp.
"Roland!"
"Was denn?", fragte er betont unschuldig.
"Das ist doch nicht die Wahrheit!" Pia hatte ihn sofort durchschaut.
"Sie ist ins Koma gefallen.", erklärte Roland traurig. "Ich habe gerade Achim angerufen."
"Und, kommt er?"
Roland nickte.
"Hoffentlich kann er Kathrin helfen. Wieso ist sie denn jetzt plötzlich ins Koma gefallen? Ich dachte, ihr habt den Erreger gefunden?", fragte Pia.
"Der Erreger steht fest. Wir haben ihr ja auch das Gegenmittel verabreicht... irgendwas muss uns entgangen sein", Roland war wirklich ratlos.
"Wie kommen Kathrins Eltern mit der Situation zurecht?", erkundigte Pia sich.
"Martin redet gerade mit ihnen", erschöpft setzte er sich zu ihr. Es klopfte an der Tür und Martin trat ein.
"Hallo Pia", begrüßte er sie kurz. "Geht es dir wieder etwas besser?"
"Ja, geht schon", antwortete sie.
"Wie ist das Gespräch gelaufen?", wollte Roland wissen.
"Wie soll es schon gelaufen sein... sie sind verzweifelt. Wenn wir nicht bald mehr wissen, dann verlieren wir ihr Vertrauen. Herr Globisch war jetzt schon sehr aufgebracht. Ich kann ihm das aber noch nicht einmal verdenken. Hast du Achim erreichen können?", Martin schaute ihn skeptisch an.
"Ja, er fliegt heute Abend noch ab und wird morgen hier sein", erklärte Roland.
"Und was machen wir bis dahin?", auch Martin wusste nicht mehr weiter.
"Wir gehen nochmal alle Labor- und Untersuchungsergebnisse durch", sagte Roland entschlossen.
"Entschuldige aber wir haben alles schon mehrmals kontrolliert und nie etwas gefunden", Martin glaubte nicht, dass das etwas bringen würde.
"Sollen wir hier etwa Däumchen drehen?", Rolands Stimme wurde lauter. Doch eigentlich hatte er dies nicht beabsichtigt.
"Wenn ihr euch jetzt streitet, dann hilft das Kathrin auch nicht", mischte Pia sich ein.
"Du hast ja Recht", gab Roland zu. "Tut mir leid, Martin..."
"Schon gut, das war dumm von mir. Im Moment wissen wir alle nicht weiter, das macht mich auch wahnsinnig."
"Ich muss Simoni informieren, dass Achim morgen kommt.", bemerkte Roland. "Mach keine Dummheiten, Pia." Er gab ihr einen Kuss.
"Ich doch nicht.", versicherte Pia ihm. "Außerdem kann Martin ja auf mich aufpassen."
"Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen..." Martin sah Roland an. "Wir können die Visite nicht noch weiter rausschieben, Roland. Wir müssen auch an die anderen Patienten denken."
"Um Gottes Willen, die Visite!" Roland schlug sich mit der Hand an die Stirn. "Die hab ich ja total vergessen! Okay, ich gehe zu Simoni, und du sagst Brentano und Dr. Eichhorn bescheid, ja?"
"In Ordnung." Die beiden verließen Pias Zimmer.

Pia vertrieb sich die Zeit mit Lesen. Sie konnte sich aber nicht richtig konzentrieren. Außerdem war sie müde und nickte immer wieder ein. Als Roland nach drei Stunden immer noch nicht wieder vorbeigekommen war, begann sie langsam, sich zu wundern. Sie zog ihren Bademantel an, den Jakob ihr gebracht hatte, und machte sich auf den Weg zu Rolands Büro.
Pia klopfte an die Tür.
"Ja?", antwortete Roland.
Pia trat ein, Roland saß am Computer.
"Ich bin's. Was machst du denn da?", wollte sie wissen.
"Ich suche etwas im Internet... ein neues Präparat", erklärte er. "Martin kommt gleich, wir müssen noch etwas besprechen."
In dem Moment klopfte es erneut an der Tür und Martin kam herein.
"Oh, ich wollte nicht stören", sagte er entschuldigend.
"Du störst nicht, komm rein", lenkte Roland ein. "Pia..."
"Ach, schon gut. Ich lass euch dann mal alleine", verabschiedete sie sich.
Roland wandte sich an Martin: "Schau mal, ich hab etwas gefunden. Es gibt da nur ein kleines Problem..."
"Das neue Präparat", Martin begriff sofort. "Aber das willst du nicht wirklich machen?"
"In den Fachzeitschriften steht nur positives und es passt genau zu dem Erreger", Roland versuchte Martin zu überzeugen.
"Stimmt schon. Aber was wird Simoni dazu sagen?", fragte Martin verunsichert.
"Wir sind die behandelnden Ärzte", antwortete Roland kurz angebunden und sah Martin erwartungsvoll an.
"Also gut... ich bin dabei", stimmte er zu.
"Simoni sollte am besten nichts davon erfahren.", stellte Roland klar.
"Roland, wir kommen in Teufels Küche, wenn er doch dahinterkommt!"
"Es ist unsere einzige Chance! Wenn wir ihm davon erzählen, können wir es gleich vergessen."
"Da hast du wohl Recht.", gab Martin zu. "Hast du eine Ahnung, wo wir das Präparat herbekommen könnten?"
Roland schüttelte den Kopf. "Bis jetzt noch nicht. Aber ich finde schon noch was. Wollte nur erstmal deine Meinung hören."
"Gut. Sag mir bescheid, wenn du etwas gefunden hast. Ich gehe nochmal zu Kathrin." Martin stand auf. An der Tür blieb er noch einmal stehen. Roland bemerkte sein Zögern. "Ist noch was?", fragte er.
"Nein, nichts." Mit diesen Worten verließ Martin das Büro.
Roland recherchierte weiter im Internet. Er stieß auf eine sehr interessante Seite und fand dort schließlich die Lösung. Ein alter Studienfreund von ihm leitete die Entwicklung. Sofort rief er in diesem Labor an. Nach dem Telefonat lehnte er sich zufrieden zurück, sein Bekannter hatte ihm versprochen das Präparat per Kurier in die Sachsenklinik bringen zu lassen. Kurz darauf suchte er Martin auf und teilte ihm die gute Nachricht mit.
"Dass du das so schnell hinbekommst hätte ich nicht erwartet", gab Martin zu.
Roland grinste ihn an. "Dann lass uns jetzt mal nach Kathrin sehen."
Ihre Eltern waren noch bei ihr.
"Haben Sie jetzt endlich etwas?", fragte Harry Globisch.
"Wir werden ihrer Tochter bald helfen können", antwortete Roland ausweichend.
"Was heißt das?", Kathrins Mutter beäugte die Ärzte kritisch.
"Wir werden jetzt noch eine Untersuchung durchführen, dann wissen wir mehr", Martin versuchte die Eltern zu beruhigen.
Kurze Zeit später kam eine Schwester herein.
"Das wurde für sie abgegeben, Herr Chefarzt", sie reichte Roland ein Päckchen.
"Ja, danke", er wandte sich an Kathrins Eltern "wenn Sie bitte draußen warten würden?"
Als sie draußen waren, öffnete er das Päckchen, kontrollierte den Inhalt und zog die Spritze auf. "Bereitest du bitte alles vor?", bat er Martin. Dieser schob Kathrins Ärmel hoch und desinfizierte ihren Arm. Roland wollte die Spritze gerade ansetzen, als plötzlich die Tür aufging.
"Was machen Sie da?" Es war die Stimme des Professors. "Was ist das?" Er nahm die leere Kanüle und las die Aufschrift. "Sind Sie wahnsinnig?" Er riss Roland die Spritze aus der Hand. "Sie räumen das weg, und kommen dann sofort in mein Büro! Beide!", zischte er und blickte beunruhigt nach draußen zu Kathrins Eltern.
"Es tut mir leid, Martin.", sagte Roland, als der Professor das Zimmer verlassen hatte. "Ich werde ihm sagen, dass du nichts dafür kannst. Schließlich habe ich dich überredet."
"Das kommt gar nicht in Frage!", antwortete Martin entschieden. "Ich lass dich doch jetzt nicht hängen! Ich habe das Präparat genauso gewollt, wie du."
"Ich werde wahrscheinlich sowieso das meiste abkriegen. Bin ja schließlich der Chefarzt." Roland seufzte. "Na dann mal los, ab in die Höhle des Löwen!"

Wenig später standen Roland und Martin vor Barbara Grigoleit.
"Der Professor erwartet Sie bereits", informierte die Sekretärin die beiden Ärzte.
Zögerlich öffnete Roland die Tür.
"Barbara, ich möchte nicht gestört werden!", sagte der Professor.
"In Ordnung", Barbara verließ den Raum.
"Was haben Sie sich dabei eigentlich gedacht?", begann Simoni.
"Bitte lassen Sie sich das erklären...", Roland wählte seine Worte sehr bedacht.
"Was gibt es denn da noch zu erklären? Sie wollten ein Präparat verwenden, welches noch nicht zugelassen ist. Und dann halten Sie es noch nicht einmal für nötig mich vorher zu informieren!", Simoni hatte sich so richtig in Fahrt geredet.
"Uns ist die Entscheidung auch nicht leicht gefallen", wandte Martin ein, "nach langer Überlegung haben wir uns trotzdem dafür entschieden."
"Ihr Verhalten ist nicht zu entschuldigen", blieb Simoni stur.
Wir wussten keinen anderen Ausweg mehr.", versuchte Roland, zu erklären. "Das Präparat ist unsere einzige Chance!"
"Und was wollen Sie machen, wenn es nicht so wirkt, wie erwartet? Wenn es alles noch schlimmer macht?", rief Simoni aufgebracht.
"Schlimmer geht es fast nicht.", knurrte Martin kaum hörbar.
"Man hat bisher nur gute Erfahrungen damit gemacht. Ich habe mich informiert.", versicherte Roland.
"Heilmann, wenn wirklich schon alles abgeklärt wäre, wäre das Präparat schon zugelassen. Herrgott, das muss ich Ihnen doch nicht erklären!"
"Herr Professor, ich hätte das nicht gemacht, wenn ich noch einen anderen Ausweg wüsste."
"Ich dachte, Sie haben Dr. Kreutzer angerufen. Warten Sie doch erstmal ab, bis er da ist!"
"Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass er mehr machen kann, als wir.", gab Roland zu.
"Wie gehen wir denn jetzt weiter vor?", fragte Martin vorsichtig an.
"Sie werden ihr auf keinen Fall dieses Mittel verabreichen", sagte Simoni streng und ließ keine weitere Diskussion zu. "Ich werde gleich noch einmal selbst auf die ITS gehen und mich nach Frau Globischs Zustand erkundigen. Und was Sie angeht... wir wissen alle, dass sie eng miteinander befreundet sind. Trotzdem dürfen Sie nicht vergessen, dass es hier auch noch andere Patienten gibt, die unsere Hilfe brauchen. Darum verlange ich von Ihnen, dass Sie ab sofort der alltäglichen Arbeit nachkommen. Wie ich hörte gab es mit der Visite schon Probleme. So etwas darf einfach nicht vorkommen" Er sah die beiden streng an. "Und jetzt verlassen Sie bitte mein Büro, ich habe zu tun."

Das ließen Roland und Martin sich nicht zweimal sagen. Draußen ernteten sie einen mitleidigen Blick von Barbara Grigoleit. "Was haben Sie beide denn angestellt?", fragte sie. "So habe ich den Professor ja schon lange nicht mehr erlebt."
"Nicht der Rede wert, Frau Grigoleit.", wehrte Roland ab. "Komm Martin, wir müssen."
Barbara sah den beiden verwundert nach.
"Wer hat heute Nachtdienst?", fragte Martin Roland, als sie draußen waren.
"Kathrin.", seufzte Roland.
"Na super. Und was machen wir jetzt?"
"Brentano springt wahrscheinlich ein, er wollte das noch mit Arzu absprechen.", erklärte Roland. "Könnte sich aber langsam mal bei mir melden!"
"Ich bleibe heute Nacht auch hier.", beschloss Martin.
"Martin, geh nach Hause und ruh dich aus."
Martin schüttelte den Kopf. "Ich war gestern Nacht schon daheim. Jetzt bist du dran, du klappst sonst noch zusammen."
"Ich schlafe heute Nacht hier bei Pia. Dann bin ich auch gleich da, wenn etwas ist.", antwortete Roland. "Und morgen früh hole ich Achim vom Flughafen ab."

Der Abend und die Nacht verliefen ereignislos. Roland hatte nicht gut geschlafen und war früh wach, auch Pia erwachte.
"Guten Morgen", sagte sie verschlafen und gab ihm einen Kuss.
"Achim wird gleich landen", bemerkte er nach einem kurzen Blick auf seine Uhr.
"Dann grüß ihn von mir. Aber wir werden uns ja sicherlich sehen", die beiden verabschiedeten sich.
Auf dem Weg zum Flughafen hatte Achim Roland bereits angerufen und sie verabredeten einen Treffpunkt. Kurze Zeit später traf Roland dort auch ein.
"Achim!", rief er seinem Freund zu und sie begrüßten sich herzlich.
"Wie geht es Kathrin?", Achim schaute ihn nervös an.
"Unverändert...", Roland hätte ihm lieber eine positivere Antwort gegeben.
"Dann lass uns mal in die Klinik fahren", sagte Achim bestimmt.
Auf der Fahrt informierte Roland Achim über Kathrins Zustand.
"Das kann doch nicht sein, dass sie so auf das Medikament reagiert!", wunderte sich Achim.
"Wir wissen auch wirklich keine Erklärung dafür. Das Labor war am Ende doch eindeutig, also müsste das Medikament anschlagen!"
"Es sind auch keine so schweren Nebenwirkungen wie ein Koma bekannt...", dachte Achim laut weiter.
"Eben!", stimmte Roland zu. "Das passt alles nicht zusammen!"
"Ich werde sie gleich mal untersuchen, wenn wir angekommen sind.", schlug Achim vor. "Dann sehen wir weiter. Habt ihr bei Pia etwas festgestellt?"
Roland schüttelte den Kopf. "Aber ihr geht es schon viel besser."
"Was du mir so erzählst, deutet ja eigentlich alles auf eine Vergiftung hin..."
"So weit waren wir ja auch schon, Achim. Aber wieso ergibt dann die Blutuntersuchung nichts?"
Achim zuckte mit den Schultern. "Frag mich was Leichteres."

Als sie ankamen gingen die beiden ohne Umwege auf die ITS. Martin kontrollierte alle Werte. Als er Roland und Achim sah, ging er zu ihnen.
"Martin, das ist Achim Kreutzer. Achim, Martin Stein, dein Nachfolger", machte Roland die beiden Männer miteinander bekannt.
Die Begrüßung fiel sehr verhalten aus.
"Ja, dann lasst uns doch mal nach Kathrin sehen", schlug Achim vor.
Martin öffnete die Tür. "Bitteschön, nach Ihnen", Roland beobachtete das Verhalten seiner Freunde skeptisch.
Kathrin schlief, konzentriert wurden nochmals alle Ergebnisse angesehen.
"Ich hätte es auch nicht anders gemacht", sagt Achim nach einer Weile.
"Trotzdem wird sie immer schwächer. Wir können uns ja auch nicht erklären, wie es zu dem Koma kommen konnte. Aber dafür muss es doch eine Erklärung geben", meinte Roland.
Plötzlich ging die Tür auf und die Oberschwester stürzte herein. "Dr. Heilmann!", rief sie.
"Oberschwester, Sie sind ja ganz aufgeregt. Was ist denn los?", fragte Roland.
"Gerade kam ein Anruf aus dem Labor.", berichtete Ingrid außer Atem. "Die Blutproben wurden verwechselt, und Frau Dr. Globisch hat das falsche Medikament bekommen!"
"WAS??" Roland war entsetzt. "Wie konnte das passieren? Haben wir es hier nur mit Idioten zu tun?", schrie er aufgebracht.
"Roland!", zischte Martin. "Bist du wahnsinnig, nicht so laut!"
Roland bekam sofort ein schlechtes Gewissen. "Entschuldige. Entschuldige, Kathrin.", flüsterte er. Dann sah er zu Achim, der gerade Kathrins Infusion entfernte. "Was machst du da?"
"Ich setze das Medikament ab, was denn sonst?"
"Äh... ja, klar." Roland war völlig durcheinander. "Und dann?"
"Dann müssen wir abwarten, bis die Wirkung nachlässt, was anderes können wir nicht tun. Aber das weißt du doch selbst, was ist denn los mit dir?" Achim sah Roland besorgt an.
"Ich weiß auch nicht." Roland rieb sich übers Gesicht. "Ich glaube... das ist alles etwas viel gerade."
"Du gehst jetzt erst mal mit Doktor Stein in die Cafeteria", schlug Achim vor. "Derweil gehe ich ins Labor und schau mir die Ergebnisse mal genauer an. Oberschwester, könnten Sie so lange hierbleiben?"
Ingrid schaute ihn verwundert an. Durch die ganze Aufregung hatte sie ihn noch gar nicht wahrgenommen.
"Ich... ja, natürlich, Doktor Kreutzer", Ingrid fing sich langsam wieder.
"Weiß Professor Simoni schon von der Sache?", wollte Roland noch unbedingt wissen.
"Nein, bis jetzt weiß noch niemand davon", antwortete die Oberschwester.
"Dann möchte ich, dass das so bleibt. Wir werden den Professor gleich darüber informieren", bestimmte Roland.
"Aber...", setzte Ingrid an.
"Oberschwester, bitte!", schnitt Roland ihr das Wort ab und verließ gefolgt von Achim und Martin das Krankenzimmer.
"Roland, das gibt Ärger", murmelte Martin.
"Ich weiß... aber wer hätte denn mit so etwas gerechnet?", er war mächtig sauer.
"Ihr habt euch nichts vorzuwerfen", versuchte Achim ihn zu überzeugen, "ich gehe jetzt ins Labor."
Martin warf seinen grünen Umhang achtlos in einen der Körbe und ging dann schnurstracks zum Fahrstuhl. „Wo gehst du hin?", fragte Roland.
„In die Cafeteria. Du hast doch gehört, was Achim gesagt hat."
„Was soll ich denn jetzt in der Cafeteria?", fragte Roland. „Ich gehe zu Pia."
„Wenn du meinst, dann tu das." Martin war merkwürdig kurz angebunden. „Aber ich brauche jetzt wirklich einen Kaffee."
Roland beeilte sich, zu Pias Zimmer zu kommen. Er verspürte plötzlich eine richtige Sehnsucht nach ihr und brauchte dringend ein paar aufmunternde Worte.
Pia lag lesend im Bett, als er eintrat. „Hey.", begrüßte sie ihn lächelnd. „Alles klar?"
Roland schüttelte den Kopf.
„Was ist los?" Pias Blick wurde ernst.
Roland erklärte ihr kurz, was passiert war, während er sich auf die Bettkante setzte. „Nimmst du mich mal in den Arm?", fragte er dann. Das ließ sich Pia nicht zweimal sagen. Sie drückte ihn fest an sich und strich ihm sanft über den Kopf.
„Was wollt ihr denn jetzt machen?", fragte sie nach einer Weile.
„Keine Ahnung.", murmelte Roland. „Achim ist grade im Labor."
Kurze Zeit später klopfte es an der Tür. Zögerlich trat Schwester Yvonne ein.
"Doktor Heilmann, Sie möchten bitte dringend zu Professor Simoni kommen."
Roland sagte nichts.
"Ihr werdet schon die richtigen Worte finden", Pia versuchte ihn etwas aufzumuntern. Er nickte nur und raffte sich auf. Martin kam ihm entgegen.
"Man hat dich auch zu Simoni gerufen?", im Grunde war Rolands Frage überflüssig.
"Es war doch eigentlich klar, dass die Oberschwester was sagen würde", bemerkte Martin.
Die beiden Ärzte wurden bereits von Barbara Grigoleit erwartet.
"Frau Marquardt ist auch schon da", informierte sie sie und öffnete die Bürotür.
Wortlos traten Roland und Martin ein.
„Setzen Sie sich.", forderte Simoni sie auf. „Kommt Dr. Kreutzer noch?"
„Ich weiß nicht.", antwortete Roland. „Aber ziehen Sie ihn da nicht mit rein. Er hat mit dem Ganzen doch gar nichts zu tun."
„Heilmann, ich bitte Sie." Der Professor wusste sofort, was Roland meinte. „Denken Sie, ich will Ihnen jetzt Vorwürfe machen? Sie können nichts für die jetzige Situation, und das andere Thema haben wir geklärt, hoffe ich. Aber ich möchte Dr. Kreutzer gerne in unser weiteres Vorgehen einbeziehen, sonst hätten Sie ihn nicht herholen müssen."
Roland nickte. „Was schlagen Sie vor?"
„Ich weiß es nicht. Aber wir sind uns wohl einig, dass dieser Fehler fatale Folgen haben kann. Dr. Globischs Zustand ist alles andere als stabil. So etwas darf einfach nicht passieren! Was zum Teufel machen die denn da unten?" Simoni konnte seine Wut kaum verbergen.
"Barbara!", rief er.
Sie kam herein, "ja?"
"Rufen Sie bitte im Labor an. Doktor Kreutzer soll kommen, und Frau Schneider auch", ordnete er an.
"Natürlich, Chef."
"Wieso erfahre ich hier so nebenbei, dass Achim Kreutzer wieder an der Klinik ist?", mischte sich nun auch Sarah ein.
"Seit wann müssen wir dich über medizinische Entscheidungen informieren?", stellte Roland die Gegenfrage.
"Also, das ist ja wohl...", wetterte die Verwaltungschefin.
"Frau Marquardt, wir haben im Moment wirklich andere Sorgen", unterbrach Simoni sie.
Es klopfte und Achim kam herein.
"Kreutzer, willkommen", begrüßte der Professor ihn mit einem Handschlag. "Auch wenn die Umstände nicht gerade erfreulich sind..."
"Vielen Dank, Herr Professor", Achim lächelte ihn an.
"Hallo Achim", auch Sarah reichte ihm die Hand.
"Ja, nehmen Sie doch Platz", Simoni deutete auf das Sofa.
Dann wandte er sich an Frau Schneider, die etwas unentschlossen in der Tür stand.
"Frau Schneider, ich denke, Sie wissen, worum es geht."
"Ja.", antwortete sie.
"Wie konnte das passieren?", fragte er sie scharf.
"Ich weiß es nicht." Frau Schneider blickte zu Boden. "Es tut uns furchtbar leid, Herr Professor."
"Frau Schneider, Sie sind verantwortlich für das, was im Labor passiert. Und so etwas darf einfach nicht passieren! Dr. Globischs Zustand ist zwar wieder soweit stabil, doch sie liegt immer noch im Koma, und wir wissen nicht, wie sich das weiter entwickelt. Und alles nur, weil Sie die Blutproben vertauscht haben! Die Blutproben vertauscht...", wiederholte er kopfschüttelnd. "Wo sind wir denn hier, verdammt nochmal!?"
"Herr Professor, das ist nicht zu entschuldigen...", versuchte sie sich zu rechtfertigen.
"Allerdings! So etwas ist mir noch nie zu Ohren gekommen. Sie sind doch keine Anfänger. Wissen Sie eigentlich, was dies hätte bedeuten können?" Simoni redete sich so richtig in Fahrt. Frau Schneider schaute ihn betrübt an.
"Es tut mir wirklich leid... es wird nie wieder vorkommen...", murmelte sie.
"Das hoffe ich. Dann gehen Sie nun ins Labor und legen uns endlich die richtigen Ergebnisse vor", sagte er etwas ruhiger.
"Selbstverständlich, Herr Professor. Im Moment werden alle Werte nochmals überprüft." Schnellen Schrittes verließ Frau Schneider das Büro, die Standpauke hatte gesessen.
Auch bei den Anderen herrschte betretenes Schweigen. Simoni verlor selten die Kontrolle, trotzdem wusste jeder Anwesende, wie unangenehm solch eine Situation war.

Simoni brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Dann setzte er sich zu den anderen.
"Wie gehen wir weiter vor?", fragte er ruhig. Als keiner antwortete, blickte er fragend zu Achim. "Kreutzer?"
Achim hob die Schultern. "Ich weiß es nicht. Wir müssen abwarten."
"Abwarten.", wiederholte Roland und schüttelte frustriert den Kopf. "Toll."
"Mann Roland, jetzt reiß dich mal zusammen!" Achim wurde laut. "Du weißt selbst, dass es keine andere Möglichkeit gibt!"
"Meine Herren, immer mit der Ruhe!" Simoni wollte einen Streit um jeden Preis verhindern.
In dem Moment klopfte es an der Tür und Barbara steckte den Kopf herein. "Jetzt nicht, Barbara.", wies Simoni sie zurück.
"Dr. Brentano möchte Sie dringend sprechen, Herr Professor.", erklärte Barbara.
"Dann soll er noch warten, wir sind mitten in einer wichtigen Besprechung!"
"Herr Professor, es geht um Dr. Globisch!", mischte sich nun Philipp ein, der hinter Barbara stehen geblieben war.
"Warum sagen Sie das denn nicht gleich? Dann lassen Sie mal hören", Philipp ließ sich das natürlich nicht zweimal sagen und breitete sofort die Unterlagen, die er mitgebracht hatte, auf dem Tisch aus.
"Mir ist da etwas sehr außergewöhnliches aufgefallen. Wenn Sie hier mal schauen wollen. Laut meiner Untersuchungen gibt es eine Art der Vergiftung, die im Blut nicht nachweisbar ist. Die Symptome passen auf Dr. Globisch: Fieber, Schwindel, körperliche Schwäche, Wahrnehmungsstörungen bis hin zum komaartigen Zustand." Er blickte kurz auf. "Es müsste sich hierbei um eine äußerst seltene Mutation eines Pilzes handeln, tritt oft in Wasserrohren auf und ist äußerlich nicht erkennbar", erklärte Philipp und sah stolz in die Runde.
Die vier Ärzte sahen sich die Ergebnisse konzentriert an, Simoni ergriff als Erster das Wort.
"So wie ich Sie einschätze, Brentano, haben Sie auch schon einen Vorschlag für die weitere Vorgehensweise."
"Natürlich, es gibt seit kurzem eine sehr effektive Therapie. Das Gegenmittel kann ich besorgen", sagte Philipp.
"Worauf warten wir dann noch?", Roland wurde langsam ungeduldig.
"Zuerst müssen wir überprüfen, ob Kathrins Wohnung wirklich von diesem Pilz befallen ist!", Achim blieb sachlich. "Wir können auf keinen Fall riskieren, noch einmal ein falsches Medikament zu geben!"
Simoni nickte zustimmend. "Barbara soll sich darum kümmern, dass heute noch ein Spezialist die Wasserrohre überprüft. Wir bereiten hier alles nötige vor, damit wir dann schnell handeln können. Ich denke, dass wir nun endlich auf dem richtigen Weg sind."
Die Ärzte verließen erleichtert das Büro, nur Philipp blieb noch beim Professor zurück. Dieser machte lächelnd einen Schritt auf ihn zu und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. "Wenn Sie jetzt tatsächlich Recht haben, dann haben Sie alle unsere Ärzte hier in den Schatten gestellt, das ist Ihnen klar, oder? Respekt, Brentano!"
Philipp konnte seinen Stolz kaum verbergen und strahlte Simoni an. "Danke, Herr Professor. Ich hoffe, dass ich helfen konnte. Mir liegt viel an Dr. Globisch, sie ist eine sehr nette Kollegin!"

Dank Barbaras Organisationstalent wurde direkt eine Firma beauftragt, die sich in Kathrins Wohnung ein Bild über die Lage verschaffte. Zwei Stunden später erreichte ein Fax die Sachsenklinik. Es wurde bestätigt, dass es sich tatsächlich um die von Philipp vermutete Ursache handelt.
"Barbara, verbinden Sie mich bitte mit der ITS, Doktor Heilmann muss sofort informiert werden", rief Simoni.
"Wird erledigt", kurze Zeit später klingelte das Telefon.
"Ja, Heilmann. Soeben ist hier ein Fax eingetroffen. Brentano hatte Recht, es handelt sich um eine Mutation des Pilzes. Ist das Gegenmittel bereits da?", erkundigte sich Simoni.
"Doktor Brentano wartet im Foyer auf den Kurier, er müsste gleich hier sein", antwortete Roland.
"Gut, informieren Sie mich bitte stündlich über den Gesundheitszustand unserer Kollegin", ordnete der Klinikchef an.
"Selbstverständlich, Herr Professor", damit beendeten sie das Gespräch. Endlich kam auch Philipp um die Ecke.
"Ich hab´s", rief er Roland zu und überreichte ihm ein Päckchen.
"Gott sei Dank!" Roland nahm es erleichtert entgegen und begann sofort, es auszupacken. "Ziehen Sie die Spritze auf, Dr. Brentano.", bat er ihn und begann, Kathrins Arm zu desinfizieren.
Philipp beeilte sich und reichte Roland die Spritze. "Hier, bitte."
Roland fühlte sich wie damals, als er als Student das erste Mal eine Spritze gesetzt hatte. Sein Herz klopfte bis zum Hals und seine Hände waren feucht. Tausend Gedanken schossen durch seinen Kopf: Würde das Medikament Kathrin noch helfen, oder war es schon zu spät? Stimmte jetzt wirklich alles, oder war wieder etwas schief gelaufen? Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass Kathrin Schäden davontragen würde? Fragen über Fragen. Doch Roland musste sich zwingen, sich jetzt ganz auf seine Arbeit zu konzentrieren.
"Wir müssen ihr das jetzt stündlich geben.", sagte er zu Brentano. "Ich werde das selbst übernehmen."
"Wer spricht mit ihren Eltern?", fragte Philipp.
Roland seufzte. "Das werde ich wohl auch tun."
In dem Moment ging die Tür auf und Achim trat ein. "Ihr habt das Mittel?"
"Ja, alles paletti." Roland lächelte ihn erschöpft an. "Ich habe ihr die erste Dosis gerade gegeben."
Achim ging ein paar Schritte auf Kathrin zu und nahm ihre Hand.
"Bald geht es dir wieder besser", flüsterte er.
"Kannst du noch etwas hier bleiben?", bat Roland, "ich werde jetzt mit Kathrins Eltern sprechen."
"Klar, mach das", Achim setzte sich.
Vor der ITS traf Roland auf Kathrins Eltern.
"Wir haben endlich die Ursache gefunden und konnten bereits mit der Therapie beginnen", berichtete er.
"Und Sie sind sich wirklich sicher?", Herr Globisch schien unsicher.
"Ja, es gibt keinen Zweifel mehr. Ich kann ihn später alles genau erklären, jetzt möchten Sie wahrscheinlich erst zu Ihrer Tochter?", Roland konnte die Sorgen der Eltern nachvollziehen.
"Ist sie denn schon wach?", wollte Eva Globisch wissen.
"Nein, noch nicht. Aber wenn sie wach wird, wäre es natürlich schön, wenn Sie bei ihr wären", antworte Roland und ging zusammen mit den Eltern auf die ITS.
"Achim", er gab ihm zu verstehen den Raum zu verlassen. "Wir lassen Sie jetzt einen Moment alleine", er lächelte ihnen zu und ging hinaus.
"Ich muss zu Pia.", fiel Roland plötzlich ein. "Die guten Neuigkeiten sind wahrscheinlich noch gar nicht bei ihr angekommen. Kannst du hierbleiben?"
"Ja. Geh du nur." Achim sah Roland lächelnd hinterher, der schon um die Ecke verschwand.
Kaum hatte Roland Pias Zimmertür geöffnet, sprang sie auf und fiel ihm um den Hals. "Roland! Ich freu mich so!"
"Du weißt es schon?" Roland drückte Pia fest an sich und küsste sie auf die Wange.
"Arzu hat es mir gesagt. Aber jetzt erzähl, ich will alles genau wissen!" Sie zog ihn zu ihrem Bett und sie setzten sich.
"Die Abflussrohre in Kathrins Küche sind von einem Schimmelpilz befallen.", begann Roland. "Das war Brentanos Idee. Wenn wir ihn nicht hätten.... " Er erklärte Pia den gesamten Sachverhalt und sie hörte interessiert zu. "Und was ist mit mir?", fragte sie schließlich.
"Mit dir ist nichts, mach dir keine Sorgen.", versicherte Roland ihr. "Du hattest eine leichte Form dieser Vergiftung, weil du dich auch in Kathrins Küche aufgehalten hast. Aber bei einer so geringen Konzentration werden die Giftstoffe von selbst wieder ausgeschieden."
"Achso. Ich brauche also kein Gegenmittel?"
Roland schüttelte den Kopf. "Du kannst heute noch nach Hause. Wenn du möchtest." Er grinste sie an.
"Wann darf Kathrin denn Besuch empfangen?", wollte Pia wissen.
"Sie ist noch nicht aufgewacht und im Moment sind ihre Eltern da. Bis Morgen sollten wir damit noch warten", Roland blieb sachlich.
"Ja, verstehe ich. Zum Glück geht es ihr wieder besser", sie küsste Roland, ging dann zum Schrank und begann ihre Sachen zu packen.
"Warte, ich helfe dir. Ganz gesund bist du ja doch noch nicht, ein bisschen Schonung ist in den nächsten Tagen angesagt", sagte er.
"Natürlich, Herr Chefarzt", sie lächelte ihn glücklich an. "Sag mal, wo ist Achim eigentlich?"
"Der ist noch auf der ITS", antwortete Roland.
"Dann sag ihm, dass er heute Abend zu uns kommen soll. Charlotte würde sich auch freuen", schlug Pia vor, "außerdem wäre das doch die Gelegenheit, dass Achim und Martin sich mal näher kennen lernen."
"Gute Idee, ich rede gleich mit den Beiden. Hast du alles eingepackt?", er sah sich im Zimmer um.
"Moment, im Bad ist noch was", sie verstaut die letzten Sachen, "so, fertig."
Roland nahm die Tasche, legte den Arm um Pia und sie verließen das Krankenzimmer.
"Ich frage die Oberschwester mal schnell nach deinen Entlassungspapieren, kommst du mit?", fragte Roland.
Pia nickte und sie gingen zum Schwesternzimmer.
"Oberschwester?" Roland steckte den Kopf durch die Tür.
"Dr. Heilmann?" Ingrid lächelte die beiden an.
"Ich suche die Entlassungspapiere für meine Frau, haben Sie die schon fertig?", wollte Roland wissen.
"Ja, natürlich. Moment..." Ingrid ging zum Schreibtisch und sah einen Stapel Papiere durch. "Hier sind Sie."
"Du kannst sie ja gleich hier ausfüllen, Pia.", schlug Roland vor. "Und dann bringe ich dich heim. Ich sage nur noch schnell Achim bescheid, dass ich eine Weile weg bin."

Bald darauf saßen sie im Auto. Roland seufzte. "Ich könnte wirklich auch mal wieder eine ausgiebige Dusche gebrauchen..."
"Das glaub ich dir, du hast die letzten Tage mehr oder weniger durchgemacht. Zum Glück geht es Kathrin jetzt wieder besser", auch Pia war sehr erleichtert.
Roland parkte das Auto, nahm Pias Tasche heraus und öffnete die Tür.
"Willkommen zu Hause", er ließ Pia den Vortritt.
"Oma!", Jonas kam aus dem Wohnzimmer gelaufen.
"Hallo mein Süßer", Pia nahm ihn in den Arm.
Nun kam auch Charlotte.
"Schön, dass es dir wieder besser geht", begrüßte sie Pia.
"Danke Charlotte, ich bin auch froh wieder hier zu sein."
"Ich mach uns eine Tasse Kaffee", schlug Charlotte vor, "den könnt ihr mit Sicherheit gut gebrauchen."
"Gute Idee, aber ich gehe jetzt erst einmal duschen", sagte Roland und verschwand nach oben. Pia begleitete Charlotte in die Küche.
"Muss Roland nachher nochmal in die Klinik?", fragte Charlotte.
"Ich denke schon. Er will sicher nochmal nach Kathrin sehen."
"Geht es ihr denn jetzt besser?"
"Ja." Pia lächelte. "Sie haben die Ursache gefunden und konnten ihr jetzt endlich das richtige Medikament geben!"
"Das ist ja schön!"
"Wir haben heute abend auch noch eine Überraschung für dich, Charlotte."
Charlotte sah sie fragend an. "Was denn?"
"Eine Überraschung, hab ich gesagt!" Pia lachte. "Nur so viel: Ich muss das Gästezimmer noch fertig machen."
"Wer kommt denn?" Charlotte konnte ihre Neugierde nicht verbergen.
"Überraschung...."
"Oma, wo ist denn der Opa?", rief Jonas aus dem Wohnzimmer.
"Der ist im Bad, Jonas.", antwortete Pia.
"Was macht er denn da?", fragte Jonas weiter.
Pia musste lachen. "Duschen! Warum willst du das denn so genau wissen?"
"Ach, nur so. Spielst du was mit mir?"
"Ja klar, warum nicht." Pia setzte sich neben ihn. "Auf was hast du Lust?"
"Charlotte und ich haben eben Mau-Mau gespielt", erzählte Jonas.
"Und wer hat gewonnen?", fragte Pia.
"Na, ich!", verkündete Jonas stolz und mischte die Karten neu.
Roland kam die Treppe herunter und setzte sich aufs Sofa.
"Wollt ihr mir wirklich nicht verraten, wer heute Abend kommt?", Charlotte mochte diese Geheimniskrämerei nicht.
Pia und Roland tauschten einen kurzen Blick und grinsten sich an.
"Nein, da musst du jetzt durch", sagte Roland.
Charlotte verschwand wieder in der Küche.
"Die wird Augen machen", flüsterte Pia Roland zu.
"Opa, spielst du auch mit?", wollte Jonas wissen, "dann verliert Oma wenigstens nicht die ganze Zeit", meinte Jonas grinsend.
"Also, du bist mir Einer. Aber ok, ich mach mit", sagte Roland und Jonas strahlte übers ganze Gesicht.
"Ich möchte noch was zu Trinken!", verkündete Jonas.
"Holst du dir bitte selber was?", bat Pia ihn.
"Na guuut." Jonas stand auf und ging in die Küche.
Pia beugte sich zu Roland und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange.
"Wofür war der denn?" Roland sah sie verdutzt an.
Pia lächelte. "Ich bin stolz auf dich."
"Warum das denn?"
"Du hast das alles super gemeistert die letzten Tage." Pia küsste ihn noch einmal.
"Danke." Roland legte seine Hand auf ihre, die auf seinem Arm lag. "Aber ich glaube, ich habe mal wieder gemerkt, wo meine Grenzen liegen." Er seufzte. "Es ist gut, dass das Schlimmste jetzt vorbei ist!"
"Heute Nacht schläfst du dich mal wieder so richtig aus, okay?"
"Ja, versprochen", er vergewisserte sich, dass Charlotte außer Hörweite war, "aber erst einmal freu ich mich auf heute Abend."
"Ich auch und wenn Kathrin wieder fit ist unternehmen wie mal etwas zu Fünft", meinte Pia.
"Gute Idee, Achim und Martin werden sich bestimmt verstehen", antwortete Roland. "Ich fahr jetzt noch kurz in die Klinik und hole Achim ab, dann kann er sich das Taxi sparen."
"Einverstanden, Charlotte und ich bereiten dann alles vor", Pia stand auf doch Roland hielt sie am Arm fest.
"Du schonst dich noch", sagte er streng.
"Keine Sorge, ich bin ganz vorsichtig", versprach Pia.
"Also gut, ich beeil mich", Roland gab ihr zum Abschied einen Kuss.
Als er die Haustür öffnete, kam Jonas aus der Küche.
"Opa, wo willst du denn hin? Was ist mit dem Spiel?", wollte Jonas wissen.
"Ich muss noch kurz weg, Jonas. Morgen spielen wir, ok? Du kannst Jakob ja mal fragen, er spielt bestimmt mit dir", schlug Roland vor.
"Gegen Jakob verlier ich aber immer", meinte Jonas mürrisch.
"Mit ein bisschen Übung gewinnst du bald gegen ihn", sagte Roland aufmunternd.
"Ok...", Jonas ging nach oben und Roland fuhr wieder in Richtung Klinik.
In der Zwischenzeit bereiteten Pia und Charlotte das Abendessen vor und deckten gemeinsam den Tisch.
"Pia, das ist wirklich nicht nett von euch, dass ihr mich so auf die Folter spannt!", fing Charlotte wieder an, als fast alles fertig war.
"Charlotte, jetzt lass dich einfach mal darauf ein! Wir wissen schon, warum wir dir noch nichts sagen. Außerdem kommt Roland sicher gleich mit dem Überraschungsgast."
"Na hoffentlich!", knurrte Charlotte. Sie mochte Überraschungen wirklich überhaupt nicht. Zumindest nicht, wenn sie selbst überrascht werden sollte. Und sie hatte auch keinen blassen Schimmer, wer der Gast sein könnte...
Nach ein paar Minuten hörten sie, wie der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde. "Na endlich!", rief Charlotte und lief gespannt zur Tür. Als sie sah, wer hinter Roland eintrat, blieb ihr vor Überraschung der Mund offen stehen.
"Da staunst du, was?", grinste Roland.
"Achim, mein Junge!", rief Charlotte erfreut und umarmte ihn zur Begrüßung. "Was machst du denn hier? Warum hast du dich nicht gemeldet?"
"Roland hatte mich um Hilfe gebeten, Kathrin ging es wirklich sehr schlecht. Da war einfach keine Zeit und außerdem waren wir uns einig, dich überraschen zu wollen", erklärte Achim und schaute glücklich in die Runde.
"Schön, dass du hier bist", sagte Pia, "lass dich drücken."
"Kommt doch mit ins Wohnzimmer", schlug Charlotte vor. "Das Essen ist gleich fertig. Bis dahin können wir uns noch unterhalten, es gibt doch bestimmt viel zu erzählen", sie schaut Achim erwartungsvoll an.
"Klar, Kolumbien ist ein tolles Land, aber es gibt auch da viel zu tun", gab sich Achim bescheiden und setzte sich auf das Sofa.
Pia nahm in der Zwischenzeit Gläser aus dem Schrank und reichte Roland eine Flasche Wein. "Machst du die mal bitte auf?"
"Gerne." Roland nahm die Flasche und begutachtete das Etikett, bevor er sie öffnete. "Trinken wir den zum Essen oder vorher?", fragte er Pia.
"Zum Essen, dachte ich."
"Gut, dann warte ich noch mit Einschenken."
Die beiden setzten sich zu den anderen aufs Sofa.
"Wo ist denn eigentlich mein Sohn?", fragte Achim. "Den hab ich auch noch gar nicht gesehen!"
"Sebastian wollte glaube ich mit einem Freund lernen..."
"Lernen? Fürs Philosophiestudium?", bemerkte Roland mit amüsiertem Unterton.
"Roland, was soll das denn heißen?", verteidigte Achim seinen Sohn sofort.
"Tut mir leid, Achim.", entschuldigte sich Roland. "Das war nicht böse gemeint, du kennst mich doch."
"Oh ja, das tu ich. Und ich muss mal wieder feststellen, dass du dich kein bisschen verändert hast." Achim schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. Dann wandte er sich wieder an Charlotte: "Hat er denn gesagt, wann er wiederkommt?"
"Nein." Charlotte schüttelte den Kopf. "Aber ich könnte ihn anrufen!"
"Nein, brauchst du nicht. Vielleicht kommt er ja noch, und außerdem bleibe ich ja noch ein paar Tage! Wenn ich darf." Er sah grinsend in die Runde.
"Natürlich darfst du. Ich hoffe, du hast noch kein Hotelzimmer gebucht?", wollte Pia wissen.
"Nein, da hatte ich noch keine Zeit für", gab Achim zu.
"Gut, du kannst hier schlafen. Wir haben Platz genug", sagte Pia und Charlotte nickte eifrig.
"Wenn ich euch nicht hätte", Achim sah sie dankbar an.
In dem Moment klingelte es.
"Ich geh schon, bleibt nur sitzen", Roland stand auf und öffnete die Tür, Martin war gekommen.
"Da bist du ja, komm rein. Achim ist auch schon da", berichtete er.
"Achim? Oh, da will ich nicht stören", meinte Martin und machte Anstalten wieder zu gehen.
"Quatsch, ich hab dich doch eingeladen", hielt Roland ihn auf.
"Gut, wenn du meinst", sagte Martin, klang dabei aber nicht sehr begeistert und die beiden gingen ins Wohnzimmer.
"Martin! Schön, dass du da bist", begrüßte sie ihn, "setz dich."
"N'Abend", Martin schien etwas zögerlich und setzte sich so weit es ging von Achim weg.
"Ihr habt euch ja sicher in der Klinik schon kennengelernt, oder?", fragte Pia und sah die beiden an.
"Ja, Dr. Stein und ich haben schon ganz gut zusammengearbeitet!" Achim lächelte Martin zu, doch der zeigte keine Reaktion.
"Wollt ihr euch nicht duzen?", schlug Roland vor. "Ist doch komisch so, mit dem Sie."
"Gerne!" Achim hatte nichts dagegen.
"Von mir aus.", fügte Martin hinzu und nickte in Achims Richtung.
Pia spürte, dass irgendetwas in der Luft lag und bemühte sich, die Stimmung aufzulockern. Sie stand auf. "Das Essen ist jetzt fertig, ihr könnt euch schonmal an den Tisch setzen!", kündigte sie an.
Achim war als Erster auf den Beinen. "Ich habe solchen Hunger, ich habe heute morgen zuletzt etwas gegessen!"
"Heute morgen?" Charlotte war entsetzt. "Dann wird's aber Zeit, dass du etwas Ordentliches in den Magen kriegst!"
Achim musste lachen. "Du hast dich auch nicht verändert, Charlotte." Er ging zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Aber das ist auch gut so!"
Charlotte sah ihn glücklich an und trug dann mit Pia das Essen auf, Roland schenkte derweil den Wein ein.
"Auf einen schönen Abend, zum Wohl", er prostete den Anderen zu.
"Charlotte, das Essen ist einfach köstlich", schwärmte Achim, nachdem er von allem etwas probiert hatte.
"Iss dich ruhig richtig satt", sagte Charlotte und lächelte zufrieden.
"Was ist denn mit dir los, Martin? Du bist so still", bemerkte Pia.
"Ach, nichts. Die letzten Tage haben mich einfach etwas geschlaucht", erklärte er.
"Das stimmt, aber zum Glück geht es Kathrin jetzt wieder besser", sagte Roland. "Hab ich mich überhaupt schon bei dir bedankt, dass du so schnell gekommen bist?", fragte er Achim.
"Das ist doch gar nicht der Rede wert. Auch wenn ich jetzt in Kolumbien lebe, ihr könnt immer auf mich zählen", antwortete Achim.
"Wie geht es dir denn mittlerweile dort?", fragte Roland interessiert.
"Sehr gut, danke! Zwischen Katharina und mir ist alles wieder in Ordnung, und die Klinik läuft. Wir können uns wirklich nicht beklagen!"
"Das ist ja schön.", antwortete Pia. "Aber es ist sicherlich ziemlich anders als hier, oder?"
"Ja, komplett anders. Allein schon die medizinische Ausstattung, aus unserer Sicht eine Katastrophe! Aber für dortige Verhältnisse haben wir das Beste vom Besten... das kann man sich wirklich gar nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Aber wir sind froh, dass wir den Leuten dort helfen können." Er hielt kurz inne. "Aber jetzt mal zu euch, was war hier so alles los die letzte Zeit? Wir haben ja wirklich ewig nichts voneinander gehört. Alle gesund und munter?"
Pia, Charlotte und Martin sahen Roland an.
"Ja, jetzt geht es Allen wieder gut", antwortete Pia etwas zögerlich.
"Wieder?", fragte Achim irritiert, "was war denn?"
"Ich war an Leukämie erkrankt", klärte Roland seinen Freund auf, der ihn nur fassungslos ansah.
"Du hattest Leukämie?", Achim konnte es nicht glauben.
"Jonas hat mir Knochenmark spenden können. Es war eine schlimme Zeit, aber gemeinsam haben wir auch das geschafft", erzählte Roland.
"Wenn ich das gewusst hätte, dann...", fing Achim an.
"Ist schon in Ordnung", unterbrach ihn Roland, er wollte an diesem Abend nicht mehr an seine Krankheit erinnert werden. "Lasst uns lieber über andere Dinge sprechen", bat er.
"Okay..." Achim war im ersten Moment etwas vor den Kopf gestoßen. Er wusste zwar, dass Roland alles gut überstanden hatte, aber trotzdem traf ihn die Nachricht wie ein Schlag. Er fragte sich auch, warum ihm keiner bescheid gesagt hatte. Er hätte sich natürlich auch testen lassen und Roland geholfen, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Aber offensichtlich legten seine Freunde darauf keinen Wert... Ihm kamen zum ersten Mal Zweifel, ob überhaupt noch viel von ihrer Freundschaft übrig war.
"Ich muss mal raus.", sagte er und stand auf.
Pia sah ihm verwundert hinterher. "Geh ihm nach.", sagte sie dann zu Roland.
"Muss das sein?", Roland war nicht begeistert von dem Gedanken, noch weiter über seine Krankheit sprechen zu müssen.
"Roland, komm. Es ist doch verständlich, dass Achim die Nachricht erstmal verdauen muss, auch wenn jetzt alles wieder gut ist, er fühlt sich sicher ausgeschlossen. Wir hätten ihn ruhig früher benachrichtigen können."
Roland zuckte mit den Schultern. "Hätten wir."
"Also gib dir einen Ruck und geh ihm nach!"
Achim hatte sich im Garten auf die Stufen gesetzt. Roland nahm neben ihm Platz.
"Alles in Ordnung?", fragte Roland zögerlich.
"Du bist gut. Was soll ich denn jetzt darauf sagen?", meinte Achim ohne Roland anzusehen.
"Dich beschäftigt doch was. Du kannst mir nichts vormachen, wir kennen uns viel zu gut", sagte Roland.
"Genau das stelle ich gerade in Frage", Achim stand auf und ging über den Rasen.
Roland holte ihn ein. "Wie meinst du das?"
"Ihr hättet mir doch was sagen können. Ich wäre sofort nach Leipzig gekommen. Ich hätte dir helfen wollen, du bist mein bester Freund", endlich sah er Roland in die Augen.
"Das ändert doch nichts an unserer Freundschaft. Natürlich hätten wir es dir schon früher sagen können. Aber ich rede nicht so gerne über diese schwere Zeit, verstehst du?", erklärte Roland.
Achim zögerte. "Das verstehe ich ja, aber... Was wäre denn gewesen, wenn du.... wenn du es nicht geschafft hättest? Dann hätten wir uns gar nicht verabschieden können."
"Wir hätten dir schon noch rechtzeitig bescheid gesagt."
"Ach, komm... du weißt selbst, wie schnell es bei Leukämie gehen kann."
Roland nickte nur.
"Weißt du, Roland, mir ist schon klar, dass ich weggegangen bin, und nicht ihr. Aber trotzdem bin ich ja nicht aus der Welt! Und meine Entscheidung für Kolumbien war nicht automatisch eine Entscheidung gegen euch. Ich habe gedacht, ihr lasst mich weiterhin an eurem Leben teilhaben."
"Wir nehmen dir auch nichts übel.", versicherte Roland. "Aber wenn du mich jetzt fragst, warum wir dir nicht bescheid gesagt haben - ich kann dir keine Antwort geben. Ich weiß es nicht. Es wird nicht mehr vorkommen, versprochen."
Achim antwortete nicht. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her.
"Kommst du wieder mit rein?", fragte Roland dann.
Achim nickte.
Nach dem Essen setzten sich alle wieder ins Wohnzimmer. Nur Martin blieb zögernd stehen.
"Ich denke, ich gehe jetzt dann auch wieder nach Hause.", erklärte er.
"Och, willst du nicht noch ein bisschen bleiben?", fragte Pia nach.
"Nein, ich bin müde und sollte ins Bett, ich hab noch einiges an Schlaf nachzuholen."
"Ich bring dich zur Tür." Pia stand auf.
"Richte Otto einen lieben Gruß von mir aus!", bat Charlotte.
"Otto?" Achim wurde sofort hellhörig. "Ist das nicht dein Kollege aus der Cafeteria?"
"Ja... auch", antwortete Charlotte und begleitete Martin erst einmal zur Tür.
"Was heißt denn auch?", wollte Achim von Pia und Roland wissen.
"Das soll sie dir schön selber sagen", grinste Pia.
Als Charlotte wieder kam, zögerte Achim keine Sekunde.
"Also, was ist jetzt?"
Charlotte wurde ein bisschen rot. "Otto und ich... wir... ja, wir sind zusammen", antwortete sie.
"Das ist doch toll!", freute sich Achim.
"Findest du wirklich?", Charlotte lächelte kurz.
"Natürlich Charlotte. Otto ist mir sehr sympathisch, du hast eine gute Wahl getroffen."
"Das stimmt. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten habe ich das auch eingesehen", gab Charlotte zu und war froh, dass Achim so positiv reagiert hatte.
Bei einer Flasche Wein ließen die vier den Abend gemütlich ausklingen.

Am nächsten Morgen wurde Roland schon früh wach. Er hatte die ganze Nacht unruhig geschlafen, weil er immer im Hinterkopf hatte, dass Kathrin heute aufwachen müsste. Es gab zwar keinen konkreten Anlass dafür, trotzdem hatte er Angst, dass sie durch die Vergiftung vielleicht dauerhafte Schäden davontragen könnte.
Er stand leise auf, um Pia nicht zu wecken, und ging ins Bad, um zu duschen und sich anzuziehen. Anschließend schrieb er eine Notiz für Pia und verließ ohne zu frühstücken das Haus. Er wollte so schnell wie möglich zu Kathrin.
Als Roland die ITS betrat, kam ihm Yvonne entgegen. "Guten Morgen, Herr Dr. Heilmann!", begrüßte sie ihn.
"Morgen, Yvonne. Gab es irgendwelche Auffälligkeiten heute Nacht? Sie sehen müde aus."
"Sie meinen, bei Dr. Globisch? Nein, bei ihr scheint alles normal zu verlaufen. Die Werte sind stabil und schon fast wieder im normalen Bereich. Aber Herr Weidner mit dem komplizierten Oberschenkelhalsbruch hatte heute Nacht einen Kreislaufzusammenbruch. Wir mussten ihn intubieren."
"Dr. Brentanos Patient, oder?", fragte Roland.
"Ja."
"Ich sehe ihn mir später mal an. Aber zuerst muss ich zu Frau Globisch. Danke, Yvonne."
Bei Kathrin angekommen kontrollierte er zunächst einmal die Werte. Yvonne hatte Recht gehabt, ihr Zustand hatte sich verbessert.
Roland setzte sich zu ihr und redete mit ihr. Er bemerkte nicht, dass jemand ins Zimmer gekommen war.
"Und, wie geht es ihr?", Roland zuckte leicht zusammen.
"Martin! Die Werte haben sich verbessert, jetzt muss sie nur noch aufwachen", erklärte er.
"Schön, das ist gut", meinte Martin, klang aber nicht besonders erfreut.
"Alles in Ordnung bei dir?", wollte Roland wissen.
"Ja... natürlich", antwortete er etwas zögerlich, "ich bin mal wieder auf Station, bis gleich."
Im Hinausgehen begegnete er Achim, der vor dem Zimmer gewartet hatte und gerade die Tür öffnete.
"Guten Morgen!", begrüßte Achim die beiden.
"Morgen", murmelte Martin und verschwand. Roland sah ihm irritiert hinterher.
"Morgen Achim, komm rein."
"Du hättest mich ruhig mitnehmen können", meinte Achim.
"Ich wollte dich nicht wecken, die Zeitumstellung ist ja auch nicht ohne", sagte Roland entschuldigend.
"Ach Quatsch, das geht schon", wiegelte Achim ab.
"Bist du schon lange hier?"
"Keine Ahnung, eine halbe Stunde vielleicht.", antwortete Roland und zuckte mit den Schultern.
"Wie sieht's aus?", fragte Achim. Roland informierte ihn über Kathrins Zustand und sie beschlossen, abwechselnd bei ihr Wache zu halten, bis sie aufwachte.
"Ich hab Zeit bis 9 Uhr, dann muss ich zur Visite.", erklärte Roland. "Ich will Simoni nicht nochmal so verärgern."
"Geht klar. Ich piepe dich an, wenn sie aufwacht!"
Roland sah auf die Uhr. "Ich bleibe jetzt auf jeden Fall noch eine Weile da."
Schweigend saßen die beiden neben Kathrins Bett. Keiner wusste so recht, was er sagen sollte, sie hingen beide ihren Gedanken nach. Nach einer Weile nahm Roland Kathrins Hand in seine und betrachtete sie. Plötzlich schreckte er auf. "Achim? Hat sie jetzt grade meine Hand gedrückt?"
"Ich weiß nicht!" Achim beugte sich nach vorne. "Kathrin, Kathrin, hörst du mich?", rief er.
Langsam öffneten sich Kathrins Augen
"Achim?", ihre Stimme war sehr schwach.
"Noch nicht sprechen", mahnte Achim.
"Schön, dass du wieder wach bist, du hast uns einen schönen Schrecken eingejagt", Roland lächelte sie glücklich an.
"Was... ist... passiert?", wollte sie wissen.
"Das erklären wir dir später, ruh dich lieber noch etwas aus", meinte Achim.
Kathrin blickte die beiden noch einmal an und schlief dann wieder ein.
"Sie scheint alles gut verkraftet zu haben", flüsterte Roland und war sehr erleichtert.
"Ja, zum Glück! Bis jetzt sind keine Folgeschäden zu erkennen", stimmte Achim zu. "Ich bleibe auf jeden Fall hier."
"Gut. Ich muss jetzt los, Simoni wartet. Außerdem wird er erfahren wollen, dass Kathrin aufgewacht ist. Ich ruf noch ihre Eltern an. Wir sehen uns dann nach der Visite", verabschiedete sich Roland.
"In Ordnung, bis später", Achim setzte sich wieder an Kathrins Bett.
Als Roland mit Martin und Simoni nach der Visite wiederkam, war Kathrin wach.
"Hallo meine Liebe!", begrüßte Roland sie lächelnd. "Schön, dass du wach bist. Und schau mal, wen ich dir mitgebracht habe."
"Guten Tag, Herr Professor." Kathrin begrüßte ihren Chef mit einem matten Lächeln. Auch Martin trat an ihr Bett heran und begrüßte sie glücklich. Doch Kathrin sah ihn nur verwundert an und blickte dann zu Roland.
"Ist was, Kathrin?", fragte Roland besorgt. "Hast du Schmerzen?"
"Nein. Aber..." Sie sah wieder zu Martin. "Wer ist dieser Mann?"
Martins Lächeln verschwand abrupt von seinem Gesicht. Machte Kathrin Witze? Was sollte das? Es konnte doch nicht sein, dass sie alle erkannte, nur ihn nicht.
Roland vermutete sofort, dass es sich um eine bestimmte Art der Amnesie handelte, bei der man sich an die letzten Jahre nicht erinnern konnte, an alles andere aber schon.
"Kathrin, das ist Martin Stein, unser Freund!", erklärte er.
"Er ist mein Nachfolger hier, seit ich in Kolumbien lebe.", fügte Achim hinzu.
"Du lebst in Kolumbien? Was?" Kathrin war völlig durcheinander.
Der Professor reagierte sofort und schob die anderen aus dem Zimmer. "Gehen Sie bitte raus, das wird ihr jetzt zu viel."
Vor dem Zimmer starrte Martin Roland fassungslos an.
"Martin...", setzte Roland an.
"Ist schon in Ordnung, du brauchst nichts sagen", er war sehr enttäuscht und ging.
"Jetzt lauf doch nicht weg", rief Roland ihm hinterher und wollte ihm nachgehen.
"Lass ihn", hielt Achim ihn zurück, "versetz dich mal in seine Lage. Kathrin scheint zu sein wie immer, nur ihn erkennt sie nicht."
"Natürlich, aber weglaufen bringt doch auch nichts", meinte Roland.
"Wahrscheinlich braucht er jetzt einfach mal frische Luft oder einen starken Kaffee", vermutete Achim.
Roland blickte durch das Fenster und beobachtete Simoni.
"Er hätte uns wohl nicht gleich rauswerfen müssen!"
"Du kennst ihn doch. Er wird uns schon gleich wieder zu ihr lassen", beruhigte Achim seinen Freund.
"Außerdem hatte er Recht.", fügte er hinzu. "Kathrin war schon ganz durcheinander, wir waren einfach zu viele."
Roland sah nochmal in die Richtung, in die Martin verschwunden war.
"Ich gehe Martin suchen.", sagte er dann entschlossen. "Sonst fühlt er sich von mir auch noch im Stich gelassen. Könntest du mir einen Gefallen tun und Pia bescheid sagen, dass Kathrin aufgewacht ist?"
"Ja, mach ich gleich.", versprach Achim.
"Danke." Roland verließ im Laufschritt die ITS. Er sah zuerst im Ärztezimmer nach, aber Martin war weder dort, noch bei Otto in der Cafeteria. Draußen vor dem Haupteingang fand er ihn schließlich.
"Martin?", fragte er vorsichtig.
Martin sah kurz auf, drehte sich aber gleich wieder weg. "Was willst du?", brummte er.
"Martin, bitte! Ich kann doch nichts dafür, dass Kathrin dich nicht erkennt. So eine Amnesie ist eine normale Folge von schweren Vergiftungen, die letzten Jahre sind bei Kathrin komplett ausgeblendet. Das hat nichts mit dir zu tun! Du wirst sehen, sie wird auch nicht wissen, dass Lukas in Amerika ist, dass ihre Eltern wieder zusammengefunden haben, dass Schwester Arzu schwanger ist, dass..."
Martin unterbrach ihn. "Ist ja gut, spar dir deine Vorträge."
"Kommst du wieder mit rein?", wollte Roland wissen.
"Gib mir bitte noch ein paar Minuten, ich komm gleich nach", antwortete Martin.
"Wie du willst", Roland ging wieder zurück.
Simoni hatte Achim mittlerweile wieder herein gelassen.
"Hast du ihn gefunden?", erkundigte Achim sich.
"Ja, er ist vor der Klinik. Ihn hat das alles sehr mitgenommen. Martin kommt gleich nach. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?", wandte er sich an den Professor.
"Wie sie wahrscheinlich bereits vermutet haben handelt es sich um eine temporäre Amnesie. Ansonsten konnte ich nichts Auffälliges feststellen", berichtete Simoni. "Von daher können wir davon ausgehen, dass die Erinnerung schon bald wieder zurückkommen wird."
"Das denke ich auch. Sieh mal, nach meinem Herzinfarkt hab ich noch nicht einmal euch erkannt", erinnerte sich Achim.
Vor der Scheibe tauchte Martin auf, zögerlich öffnete er die Tür.
"Darf ich?"
"Natürlich, kommen Sie rein", sagte Simoni, "ich sehe später nochmal nach Ihnen, Frau Globisch."
"Danke, Herr Professor", antwortete sie leise und Simoni verließ den Raum.
Kathrin wandte sich an Martin. "Es tut mir leid, dass ich Sie... das ich dich nicht erkenne.", sagte sie leise.
Martin schluckte. "Ist schon gut, Kathrin. Du kannst ja nichts dafür."
Kathrin drehte ihren Kopf auf die andere Seite, wo Roland und Achim standen.
"Wird das wieder, Roland?", wollte sie wissen, doch von Roland kam keine Antwort. "Achim?", fragte sie weiter.
Achim beugte sich vor und nahm ihre Hand. Er zögerte noch einen Moment, doch dann sagte er: "Sicher wird das wieder. Du musst nur ein bisschen Geduld haben."
"Achim, kommst du bitte mal kurz mit raus?", bat Roland ihn. Achim folgte ihm vor die Tür.
"Wir müssten herausfinden, wie viel in ihrer Erinnerung fehlt.", begann Roland. "Am besten ginge das wohl, indem wir aufzählen, was so passiert ist, bevor du nach Kolumbien gegangen bist. Aber meinst du, sie verkraftet das?"
"Ich weiß nicht.... Es wäre vielleicht einen Versuch wert, sie wirkt ziemlich stabil, findest du nicht auch?", überlegte Achim.
"Ja. Wir müssen auf jeden Fall sofort aufhören, wenn wir merken, dass sie mit den ganzen Informationen nicht mehr zurecht kommt."
Achim nickte zustimmen. "Da sind wir ja einer Meinung. Dann mal los..." Sie gingen wieder ins Zimmer zurück.
"Kathrin", begann Roland, "wir müssen dir jetzt mal ein paar Fragen stellen."
Kathrin sah sie erwartungsvoll an.
"Wir hatten dir eben erzählt, dass ich in Kolumbien lebe", berichtete Achim, "einer der Gründe für den Umzug war der Herzinfarkt, den ich erlitten habe."
Kathrin antwortete nicht.
"Kannst du dich an Sebastian erinnern? Er war eine Zeit lang in Leipzig", sagte Achim.
"Sebastian? Dein Sohn? Der ist doch in Amerika, bei seiner Mutter. Ich kenne nur Heiko", meinte sie.
Achim und Roland sahen sich kurz an.
"Schwester Arzu und Dr. Brentano", setzte Roland an, "die beiden sind mittlerweile verheiratet."
Kathrin schüttelte den Kopf, "die haben sich doch gerade erst verlobt! Sagt mir lieber wieso Lukas noch nicht hier ist."
Roland setzte sich zu ihr, "Lukas ist in Amerika, er macht ein Austauschjahr."
"Nein! Da verwechselt ihr jetzt aber was! Sebastian ist in Amerika, Lukas doch nicht", Kathrin war davon fest überzeugt.
"Vladi und Alina", sagte Achim zögerlich und suchte Rolands Blick, er nickte ihm nur zu, "sie hatten einen Unfall..."
Kathrin überlegte kurz. "Ja... ich weiß... sie... sind gestorben", sagte sie leise.
Achim und Roland nickten sich zu. "Danke Kathrin, wir wissen jetzt zumindest schonmal, bis wann du dich noch einnern kannst.", sagte Roland und lächelte sie an.
Kathrin nahm ihn in dem Moment überhaupt erst richtig wahr. "Roland, du..." Sie stockte.
"Was ist denn?", fragte Roland.
"... Du bist ganz anders, als ich dich als letztes in Erinnerung habe... nicht mehr so verschlossen, nicht mehr so traurig... da ist wieder Glanz in deinen Augen...." Sie dachte kurz nach. "Es ist schon lange her, oder?"
Roland nickte stumm und nahm ihre Hand.
"Wie lange?" Kathrin ließ nicht locker.
"Etwa drei Jahre.", antwortete Roland zögerlich.
"Drei Jahre??" Kathrin war entsetzt. "So viel fehlt in meinem Gedächtnis? Oh Gott, das ist ja... " Kathrin zog ihre Hand weg und starrte an die Decke. "Ich lebe in der Vergangenheit..."
"Kathrin, das wird sich geben.", sagte Achim eindringlich. "Ich habe dir doch von meinem Herzinfarkt erzählt. Als ich danach aufgewacht bin, hatte ich eine komplette Amnesie. Ich wusste nicht einmal mehr meinen Namen. Aber ich habe mein Gedächtnis wiederbekommen, und deins wird auch zurückkehren!"
"Lasst mich alleine, bitte.", bat Kathrin.
"In Ordnung, aber wenn du was brauchst, dann lass es uns wissen. Pia hat schon mehrfach nach dir gefragt", sagte Roland.
"Ruh dich noch etwas aus", verabschiedete sich Achim.
"Bis dann", Martin schien sehr zögerlich und verließ als Erster das Zimmer, Roland und Achim folgten ihm.
Kathrin starrte an die Decke und konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Drei Jahre ihres Lebens waren wie weggewischt. Was sollte sie bloß machen, wenn es dabei bleiben würde?
Vor dem Zimmer standen Achim, Roland und Martin zusammen.
"Und jetzt", wollte Martin wissen.
"Können wir nicht viel tun, das weißt du", antwortete Roland.
"Mir haben damals Fotos sehr geholfen", erinnerte sich Achim.
"Kathrin braucht jetzt erst einmal viel Ruhe, ihr habt ja gesehen, wie sehr sie darunter leidet", meinte Roland.
"Am besten ist es wahrscheinlich, wenn ihr euch weiter um sie kümmert", meinte Martin enttäuscht.
"Bist du dir da wirklich sicher?", fragte Roland nach.
"Alles andere belastet sie doch zu sehr, je mehr sie mit 'fremden' Leuten konfrontiert wird, desto zurückhaltender wird sie doch", antwortete Martin.
"Das glaube ich nicht", wandte Achim ein, "nur so kann sie doch ihre Erinnerung zurückgewinnen. Sie wird dich mit Sicherheit bald wiedererkennen."
"Wenn du meinst", Martin wurde etwas unfreundlich, "ich bin auf Station", er marschierte davon.
"Was ist denn mit dem los", Achim sah Roland verwundert an, "ich dachte ihr hättet das eben geklärt?"
"Gib ihm einfach noch etwas Zeit", beschwichtigte Roland ihn, doch auch er wunderte sich über Martins Verhalten.
Sie ließen Kathrin ein paar Stunden alleine. Beide wussten, dass sie Zeit brauchte, um sich mit der Situation auseinanderzusetzen.
Gegen Mittag ging Roland zu Pia in den Salon. Sie verabschiedete gerade eine Kundin, als er die Tür öffnete.
"Hallo Pia", begrüßte er sie.
Pia lächelte ihm zu. "Moment, ich bin gleich für dich da." Sie begleitete die Kundin noch zur Tür, dann wandte sie sich zu Roland. "Was gibts denn? Ist was mit Kathrin?", fragte sie.
"Ich wollte gleich nochmal zu ihr, möchtest du vielleicht mitkommen?", wollte Roland wissen.
"Ja, klar.", antwortete Pia sofort. "Wie geht es ihr denn jetzt?"
"Schwer zu sagen." Roland zuckte mit den Schultern. "Sie muss sich nun erstmal damit abfinden, dass ihr drei Jahre aus ihrem Leben einfach fehlen. Das ist nicht leicht..."
Pia nickte. "Wenigstens erinnert sie sich an uns.", sagte sie nachdenklich. Dann schob sie Roland zur Tür hinaus und schloss hinter sich ab.
"Hast du eigentlich schon mit Kathrins Eltern gesprochen?", wollte Pia wissen, während sie sich den grünen Kittel anzog.
"Ja, sie kommen heute noch vorbei", antwortete Roland. "Dann lass uns mal zu ihr gehen", leise öffnete er die Tür und ließ Pia den Vortritt.
"Kathrin, bist du wach?", fragte sie leise.
Verschlafen sah Kathrin ihre Freundin an, "Pia."
Pia lächelte sie an, "wir sind sehr froh, dass es dir wieder besser geht!"
"Wie man's nimmt", gab sie bedrückt zurück.
"Mach dir nicht so viele Gedanken", mischte sich nun auch Roland ein, "du weißt, dass die Erinnerung in den meisten Fällen vollständig wiederkommt."
"Ja, ich weiß... trotzdem macht es das nicht besser", sagte sie traurig.
Schwester Arzu kam herein, "Dr. Heilmann, könnten Sie mal bitte kommen?"
"Natürlich, bleibst du noch hier?", fragte er an Pia gewandt, sie nickte und Roland folgte Arzu. "Was gibt es denn?"
"Herr und Frau Globisch sind eben gekommen. Sie warten bereits vor der Intensivstation", informierte sie Roland.
"Danke Arzu, ich kümmere mich darum."
Er legte seinen Kittel ab und verließ die ITS. "Herr und Frau Globisch, guten Tag!", begrüßte er die beiden und gab ihnen die Hand. "Würden Sie mir bitte in mein Büro folgen? Ich möchte Ihnen noch kurz die aktuelle Situation erklären."
"Ist etwas passiert?", fragte Eva Globisch erschrocken.
"Nicht direkt." Roland rang um die richtigen Worte. "Machen Sie sich keine Sorgen."
Sie waren nun in seinem Büro angekommen und nahmen am Tisch Platz.
"Die Sache ist die.", begann Roland. "Kathrin ist jetzt wach, und es geht ihr soweit auch gut. Sogar besser, als wir erwartet haben!"
Die Globischs atmeten auf. "Aber?", fragte Harry weiter.
"Ihr Gedächtnis hat teilweise unter der Vergiftung gelitten.", erklärte Roland. "Die letzten drei Jahre fehlen in ihrer Erinnerung."
"Wie bitte?" Eva sprang entsetzt auf. "Was bedeutet das denn für sie?"
"Erstmal bedeutet es gar nichts, bitte beruhigen Sie sich, Frau Globisch!", versuchte Roland, sie zu beschwichtigen.
"Gar nichts, was soll das heißen?" Eva schrie nun fast. "Das kann doch nicht einfach NICHTS bedeuten, wenn ihr ganze drei Jahre fehlen! Was reden Sie denn da?!"
"Bei dieser Art von Vergiftung ist das nicht ungewöhnlich. In der Regel kommt die Erinnerung vollständig zurück", versuchte Roland zu beruhigen.
"Das hilft Kathrin im Moment jedoch nicht viel, oder können Sie uns garantieren, dass es auch bei ihr der Fall sein wird", wollte Eva wissen.
"Natürlich können wir nichts garantieren", musste Roland zugeben. "Da Kathrin Allgemeinzustand sehr gut ist, sind wir guter Dinge."
Eva setzte erneut an, doch Harry kam ihr zuvor.
"Eva, bitte! Diese Diskussion hilft nicht weiter. Wir sollten uns jetzt lieber um Kathrin kümmern."
"Ja... im Grunde hast du Recht. Entschuldigen Sie, Dr. Heilmann", sagte sie etwas kleinlaut.
"Keine Ursachen, Frau Globisch. Ich kann Ihre Sorgen nachvollziehen", antwortete Roland. "Wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben, können wir gehen."
Auf der ITS reichte Roland den beiden einen grünen Kittel. Vorsichtig öffnete Roland die Tür und ließ Kathrins Eltern den Vortritt.
"Ich komme dich später noch einmal besuchen", Pia lächelte ihr zu und stand dann auf.
"Kathrin!", Eva hatte ihre Hand genommen. "Was machst du nur für Sachen?"
"Mutti... Vati... ", Kathrin klang immer noch erschöpft, war aber froh, ihre Eltern zu sehen.
"Wie konnte das denn passieren?", fragte Eva weiter.
"Ich weiß ja auch nicht, woher diese Gifte kamen." Kathrin war ziemlich kurz angebunden. Sie hatte noch keine Kraft, um viel zu reden. Deshalb versuchte sie, das Gespräch schnell auf ihre Eltern zu
lenken. "Was gibts denn bei euch Neues?", fragte sie.
"Eigentlich nicht viel.", begann Harry und überlegte. Doch Eva fiel sofort etwas ein. "Stell dir vor, dein Vater und ich haben vor ein paar Wochen einen Tanzkurs begonnen..." Prompt war sie in ihrem
Element und Kathrin wusste, dass sie nun die Ohren auf Durchzug schalten konnte. Sie schweifte mit den Gedanken ab und dachte an Martin. Sie versuchte verzweifelt, sich an irgendetwas zu erinnern,
irgendwelche Erlebnisse mit ihm, Unternehmungen, Gespräche.... doch in ihrem Kopf schien alles leer. Sie konnte sich nur noch an das erinnern, was passiert war, nachdem sie aufgewacht war. Wie er sie angesehen hatte, als klar wurde, dass sie ihn nicht erkannte... Er schien sehr verletzt gewesen zu sein, das war für sie der Beweis, dass sie ein enges Verhältnis haben mussten. Wenn sie sich nur an etwas erinnern könnte...
"Kathrin, ist alles in Ordnung?" Die Stimme ihres Vaters drang an ihr Ohr. Während Eva munter vom Tanzkurs erzählte, war ihm aufgefallen, dass Kathrin etwas anderes beschäftigte.
"Ja, ich...", stammelte sie.
"Dich beschäftigt deine fehlende Erinnerung, oder?" Harry ließ nicht locker.
"Ja. Es tut mir so leid, dass ich Martin nicht erkenne." Kathrin seufzte. "Wenn ihr nachher geht, könntet ihr ihn mir dann mal schicken? Vielleicht bringt es ja was, wenn er mir etwas von sich
erzählt."
"Glaubst du wirklich, dass du dafür schon die Kraft hast", fragte Eva besorgt.
"Je länger es dauert, desto schwieriger wird es doch für alle Beteiligten", antwortete Kathrin traurig.
"Gut, wie du meinst", ihr Vater war einverstanden.
Nach einer Weile verabschiedeten sich Kathrins Eltern. "Wir kommen morgen wieder! Versuch dir nicht allzu viele Gedanken zu machen", riet Eva ihr.
"Wenn das nur so einfach wäre... denkt bitte an Martin!", erinnerte Kathrin noch einmal.
"Natürlich, bis dann", gemeinsam verließen Eva und Harry das Zimmer. Zum Glück kam Martin ihnen gleich entgegen.
"Dr. Stein, haben Sie einen Augenblick Zeit?", rief Harry ihm zu.
"Ja...", antwortete er unsicher.
"Kathrin würde Sie gerne nochmal sehen", erklärte Eva, "die jetzige Situation belastet sie wirklich sehr!"
"Vielen Dank, ich wollte ohnehin noch nach ihr sehen", Martin lächelte kurz.
"Wir fahren jetzt in unser Hotel, wenn etwas sein sollte, können Sie uns jederzeit anrufen", sagte Harry mit Nachdruck.
"Selbstverständlich, aber wir denken nicht, dass es noch zu irgendwelchen Komplikationen kommen wird", beruhigte Martin die Eltern.
Anschließend zog er sich einen grünen Kittel über und machte sich auf den Weg zu Kathrin. Vor dem Zimmer hielt er noch einmal inne, dann trat er ein.
Kathrin lächelte, als sie ihn sah. "Setz dich mal zu mir", bat sie ihn.
Martin zog einen Stuhl neben Kathrins Bett und sah sie erwartungsvoll an.
"Ich möchte mich gerne wieder an dich erinnern", sagte Kathrin.
"Das wäre schön." Martin verzog keine Miene. Er wusste nicht so recht, wie er mit Kathrin umgehen sollte.
"Erzählst du mir von uns?", fragte Kathrin. "Wie lange wir uns schon kennen, was wir miteinander unternommen haben, was du so machst... alles."
"Okay." Martin räusperte sich. "Wir kennen uns, seit ich in der Sachsenklinik arbeite. Am Anfang konnte Roland mich nicht ausstehen... aber du hast mich gleich gut aufgenommen." Bei dem Gedanken daran musste er lächeln. "Wir sind dann auch bald Freunde geworden und haben Roland wohl irgendwie mitgezerrt... Seither verbringen wir regelmäßig unsere Freizeit zusammen, gehen zusammen ins Kino, joggen, mit meiner Tochter Marie in den Zoo..."
"Wie alt ist Marie?", fragte Kathrin dazwischen.
"11.", antwortete Martin. "Sie wohnt bei mir und meinem Vater Otto. Den kennst du auch, er arbeitet hier in der Cafeteria!"
"Aha..." Kathrin konnte mit alldem nichts anfangen. Sie fühlte sich ziemlich entmutigt. "Nichts davon kommt mir bekannt vor", sagte sie frustriert.
"Du musst Geduld haben, Kathrin", versuchte Martin, sie zu beruhigen. "Dein Gedächtnis wird bestimmt zurückkommen."
Zwei Wochen später ging es Kathrin physisch so gut, dass sie entlassen werden konnte. Nach der Visite kam Roland zu ihr.
"Pia hat eben angerufen, sie würde dich jetzt abholen kommen."
"Danke, das ist lieb von ihr", lächelte sie.
"Freust du dich endlich aus der Klinik rauszukommen?", fragte Roland.
"Ja und nein", meinte sie zögerlich. "Mir fehlt immer noch die Erinnerung... Roland, sei bitte ehrlich. Glaubst du, dass sie jemals wiederkommen wird?"
"Kathrin, diese Frage kann dir niemand beantworten, ich hoffe es, wir alle hoffen es", antwortete er.
"Wie soll es denn bloß weitergehen? Wenn es so bleibt wie es jetzt ist, kann ich den Job an den Nagel hängen. Simoni würde mich doch so niemals in den OP lassen!", ihre Enttäuschung war nicht zu überhören.
"Mach dich doch jetzt nicht so verrückt", versuchte Roland sie zu beruhigen.
"Nicht verrückt machen?! Wie würdest du denn mit solch einer Situation umgehen?", sie knallte die Kleiderschranktür zu.
"Ich weiß es nicht...", gab er kleinlaut zu, "jetzt kommst du erst einmal mit zu uns und danach sehen wie weiter."
"Hm... ich bin froh, dass ich in der Zwischenzeit bei euch wohnen kann", sagte sie dankbar und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
"Keine Ursache!", er nahm ihre Tasche und öffnete die Tür. "Lass uns in der Cafeteria auf Pia warten, ich spendiere einen Kaffee."
Doch dazu kam es gar nicht, denn als sie unten ankamen, sahen sie, wie Pia gerade vor der Klinik parkte. Roland und Kathrin traten vor die Tür.
"Du stehst auf Sarahs Parkplatz.", sagte Roland grinsend.
"Ja und?", fragte Pia.
"Wenn sie das mitbekommt... der Parkplatz ist ihr heilig."
"Sie wird mich schon nicht fressen. Außerdem braucht sie das ja nicht zu erfahren, sie ist ja grade offensichtlich nicht hier!" Pia grinste Roland an. "Und wir wollen ja sowieso nicht länger als nötig hier rumstehen, oder? Du möchtest doch sicher nach Hause, Kathrin."
Kathrin nickte stumm.
"Dann komm, wir fahren gleich." Pia legte Kathrin den Arm um die Schultern, während Roland ihre Tasche in den Kofferraum hob.
Sie verabschiedete sich von Roland mit einem schnellen Kuss, bevor sie einstieg. "Versuchst du, heute nicht so spät zu kommen?", bat sie ihn.
"Ja, natürlich. Ich werde pünktlich Feierabend machen.", versprach er.
Am nächsten Tag ging es Kathrin schon viel besser und so beschlossen Pia und sie, am Abend richtig groß zu kochen und auch Martin dazu einzuladen. Gemeinsam standen die beiden Frauen in der Küche und bereiteten alles vor.
"Ich bin ja mal gespannt auf heute Abend", meinte Kathrin, "wird Zeit, dass Achim und Martin sich mal etwas besser kennen lernen."
"Hm... bis jetzt haben sie sich nur einmal außerhalb der Klinik gesehen und was die Zusammenarbeit - wenn das so nennen kann - hat Roland ein paar seltsame Andeutungen gemacht", sagt Pia nachdenklich.
"Wie meinst du das?", fragte Kathrin nach.
"Nunja, Martin hat sich wohl immer sehr zurückgehalten. Aber du kennst ja Roland, ihm musst du jedes Wort aus der Nase ziehen!", seufzte sie.
"Ach, heute Abend wird das bestimmt schon ganz anders aussehen", war Kathrin zuversichtlich wurde dann jedoch wieder ganz ernst "ich hoffe, dass dadurch irgendeine Erinnerung zurückkommt. Bis jetzt habe ich immer noch das Gefühl als wäre ein großes schwarzes Loch in meinem Kopf..."
"Du darfst nicht so negativ denken", versuchte Pia sie aufzumuntern.
"Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erinnerung wiederkommt wird von Tag zu Tag geringer...", mit etwas zu viel Schwung holte sie mit dem Messer aus und schnitt sich in den Finger. „Auch das noch!", sie grinste gequält, "geht gleich wieder."
"Warte, ich hole dir ein Pflaster." Pia trocknete sich die Hände ab und lief die Treppe hoch ins Bad. Als sie zurückkam, hatte Kathrin ihren Finger bereits in ein Papiertaschentuch eingewickelt.
"Das blutet ganz ordentlich...", sagte sie. "Am Besten warte ich noch ein bisschen, bis es schwächer geworden ist."
"Wenn du meinst. Du bist die Ärztin!", antwortete Pia grinsend.
"Wenigstens mein medizinisches Wissen habe ich noch", bemerkte Kathrin trocken.
"Eben, und deshalb glaube ich auch nicht, dass Simoni dich rauswerfen würde! Das, was man zum Operieren braucht, hast du ja schließlich nicht erst in den letzten drei Jahren gelernt." Pia versuchte, ihr Mut zu machen.
"Meinst du?" Kathrin war sich nicht sicher.
"Ja. Und ich kann es nur immer wieder sagen: Achim hatte nach seinem Herzinfarkt einen vollständigen Gedächtnisverlust. Und bei ihm ist alles wieder in Ordnung!"
"Nur weil das bei ihm so war, muss das noch lang nicht heißen...", fing Kathrin an.
Doch Pia unterbrach sie. "Du musst an dich glauben, Kathrin! So wie wir alle an dich glauben." Sie legte ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter.
"Wenn ich euch nicht hätte", Kathrin lächelte Pia dankbar an und klebte nun das Pflaster auf.
"Dann hättest du andere Probleme", grinste Pia, "wo ist Achim eigentlich?"
"Der wollte Getränke holen, er müsste gleich kommen", meinte Kathrin.
In dem Moment klingelte es an der Haustür.
"Das wird er sein", Kathrin öffnete die Tür und Achim kam herein.
"Kann ich euch helfen?", fragte er.
"Wir sind fast fertig", rief Pia aus der Küche, "du könntest nur schonmal den Wein kalt stellen."
"Wird erledigt!", antwortete Achim.
Kurz Zeit später waren alle Vorbereitungen getroffen und die Drei saßen im Wohnzimmer.
"Hoffentlich kommen Roland und Martin heute Abend rechtzeitig aus der Klinik...", bemerkte Pia.
"Ganz bestimmt", Kathrin war zuversichtlich, "das Essen werden sie sich wohl nicht entgehen lassen", grinste sie.
"Ich freu mich jedenfalls Martin mal besser kennen zu lernen. Bis jetzt sind wir ja nicht dazu gekommen", meinte Achim, "außerdem ist es schön, euch mal wieder alle beisammen zu haben! Ihr habt mir gefehlt."
"Du uns auch", sagte Kathrin und Pia nickte zustimmend.
Bald darauf waren alle beisammen und sie nahmen zum Essen am Tisch platz.
"Wollte Charlotte nicht mitessen?", fragte Kathrin.
"Sie vertritt mich im Charlotto", erklärte Pia.
Kathrin verzog das Gesicht. "Ich glaube, ihr müsst mir mal wieder auf die Sprünge helfen", seufzte sie. "Charlotte vertritt dich im Charlotto? Was ist überhaupt das Charlotto?"
"Entschuldige, Kathrin. Ich hatte vergessen, dass du...."
"Ist schon gut", wehrte Kathrin ab. "Erzähl einfach."
"Das Charlotto ist ein Restaurant, das Charlotte und Martins Vater Otto, ihr Lebensgefährte, gemeinsam aufgebaut haben", begann Pia. "Mittlerweile bin ich dort Geschäftsführerin; ich musste wegen einer Allergie meinen Salon aufgeben. Und Jakob macht im Charlotto ein Praktikum als Koch, deshalb ist er jetzt auch nicht hier."
"Ah, verstehe..." Kathrin bemühte sich, die ganzen Informationen zu verarbeiten.
"Wie war euer Tag?", fragte Pia Roland und Martin.
"Och, wie immer eigentlich", antwortete Roland knapp.
"Aber du fehlst an allen Ecken und Enden, Kathrin", fügte Martin hinzu.
"Naja, im Moment wäre ich euch sicherlich keine große Hilfe", vermutete Kathrin.
"Du bleibst noch schön zu Hause!", mischte sich Roland ein.
"Natürlich, aber irgendwann werden wir wohl mal mit Simoni sprechen müssen...", meinte Kathrin betrübt.
"Lasst uns das doch nicht heute Abend besprechen", wechselte Achim das Thema, "ich bin sehr froh wieder hier zu sein. Zum Wohl!"
Nach dem Essen räumten sie schnell den Tisch ab und machten es sich auf dem Sofa gemütlich. Pia kuschelte sich etwas näher an Roland und Achim hatte seinen Arm um Kathrin gelegt. Martin fühlte sich ziemlich unwohl und fühlte sich fehl am Platz, da die Vier über alten Zeiten redeten.
"Könnt ihr euch noch an unsere Kanutour erinnern?", fragte Kathrin.
"Ohja...! Du bzw. ihr habt uns ganz schön ausgetrickst!", meinte Roland.
"Och, so schlimm fand ich das dann doch nicht", grinste Achim, "auch wenn es mit uns ja nicht geklappt hat, aber eine bessere Freundin kann ich mir gar nicht vorstellen!"
"Das hast du aber schön gesagt", grinste sie zurück und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
"So glücklich und gelöst habe ich Kathrin seit dem Unfall nicht mehr gesehen", flüsterte Pia Roland zu.
"Hm... ein bisschen Ablenkung kann sie gut gebrauchen."
"Ihr wart mal zusammen?", fragte Martin. Es war das erste Mal, dass er in diesem Gespräch überhaupt etwas sagte.
"Ja, aber ist schon lange her.", erklärte Kathrin. "So lange, dass ich mich sogar daran erinnern kann." Sie seufzte.
"Hey, was soll das denn heißen?" Achim war empört.
"Achim..." Kathrin schlang die Arme um seinen Bauch. "Du weißt doch, wie ich das gemeint habe."
"Jaja. Das kann ja jeder sagen.", grinste Achim. Er war froh, endlich wieder mit seinen Freunden zusammen sitzen und reden oder einfach herumalbern zu können.
Martin dagegen wurde es immer unwohler in dieser Runde. Er spürte, wie sich seine Abneigung gegen Achim verstärkte. Es tat ihm weh, dass Kathrin mit Achim so viele schöne Erinnerungen hatte, während er komplett aus ihrem Leben gestrichen war. So kam es ihm zumindest vor. Er wusste, dass Kathrin sich um ihre Erinnerung bemühte, doch er war sich sicher, dass es ihr leichter fallen würde, wenn Achim nicht da wäre. Dann könnte er sich richtig um sie kümmern und sie würde vielleicht endlich merken, dass sie zu ihm gehörte...
Martin wurde abrupt aus den Gedanken gerissen, als Pia ihm noch ein Glas Wein anbot.
"Ja, bitte.", antwortete er. Es wäre unhöflich, schon wieder so früh zu gehen, also beschloss er, die unangenehmen Gefühle mit Wein zu überdecken.
"Dann erzähl doch jetzt mal was, Achim. Wie läuft es in Kolumbien? Und wie geht es Katharina?", fragte Pia neugierig.
"Natürlich haben wir viel zu tun, du kannst das mit hier der Arbeit gar nicht vergleichen. Aber es macht Spaß und wenn du siehst, dass du den Menschen dort helfen kannst, gibt dir das einfach ein gutes Gefühl", berichtete Achim.
Kathrin sah ihn erwartungsvoll an, er bemerkte ihren Blick.
"Ach, ich merk schon, eigentlich wolltet ihr das so genau gar nicht wissen."
Pia und Kathrin grinsten sich an.
"Katharina und ich sind sehr glücklich", fuhr er fort, "der Umzug war schon die richtige Entscheidung. Auch wenn es mir damals nicht leicht gefallen ist und ich euch natürlich oft vermisse", fügte er hinzu.
"Du fehlst uns auch!", sagte Kathrin. Bei diesen Worten blickte Martin unwillkürlich auf und schaute seine Freundin unsicher an.
"Alles in Ordnung mit dir, Martin?", fragte Roland. Ihm war Martins komisches Verhalten nicht verborgen geblieben.
"Es ist nichts", antwortete Martin, klang jedoch nicht sehr überzeugend, "ich bin einfach nur müde, war eine anstrengende Woche."
"Du bleibst aber doch noch eine Weile, oder?", wollte Pia wissen.
Martin nickte und lächelte leicht gequält.
Achim erzählte noch lange von seinem Krankenhaus in Kolumbien, für das sich besonders Roland sehr interessierte. Irgendwann verabschiedete sich Kathrin ins Bett und Martin nutzte die Gelegenheit, um ebenfalls zu gehen. Als er Kathrin zum Abschied umarmen wollte, wich sie zurück. Martin blieb einen Moment lang wie erstarrt stehen. Es zerriss ihm fast das Herz, dass Kathrin mit Achim so vertraut umging und ihn währenddessen fast wie einen Fremden behandelte.
Er beeilte sich nun, sich von allen zu verabschieden. "Bis morgen, wir sehen uns in der Klinik", sagte er zu Roland, der ihn zur Tür gebracht hatte.
"Martin, ist wirklich alles in Ordnung?", bohrte Roland nach. Er spürte, dass seinen Freund etwas bedrückte.
"Ja, wirklich", wehrte Martin ab und sah zu Boden. "Ich muss jetzt wirklich dringend schlafen, sonst komme ich morgen gar nicht aus dem Bett. Einen schönen Abend wünsche ich euch noch." Damit drehte er sich um und ließ den verwunderten Roland auf der Türschwelle zurück.
Roland ging zurück nach drinnen und nahm wieder neben Pia auf dem Sofa platz. "Irgendwas ist mit Martin", sagte er nachdenklich.
"Na, es macht ihm zu schaffen, dass Kathrin ihn nicht erkennt. Ist doch klar", Pia konnte sich gut vorstellen, wie er sich fühlen musste.
"Vielleicht sollten wir auch langsam schlafen gehen", schlug Roland dann vor. "Es ist schon spät." Er stand auf und blickte zu Achim. "Kommst du morgen nochmal mit in die Klinik?"
"Ja, von mir aus gerne!" Achim freute sich, wieder mit den alten Kollegen zusammen zu sein.
"In Ordnung. Dann sehen wir uns morgen früh um halb sieben zum Frühstück?"
"Klar. Ich werde pünktlich sein!", grinste Achim und ging dann die Treppe zur Einliegerwohnung hinunter.
Pia und Roland räumten noch schnell die Gläser weg und gingen dann auch hoch.
Roland lag zuerst im Bett, er starrte an die Wand. Verwundert sah Pia ihn an.
"Roland!?", sie legte sich zu ihm.
"Hast du was gesagt?", fragte er nach.
"Nein, noch nicht. Was ist denn los mit dir?"
"Ach... Martin geht mir nicht aus dem Kopf", erklärte er, "das ist schon etwas komisch..."
"Jetzt sag bloß, du hast es noch nicht bemerkt?!", meinte Pia leicht amüsiert.
"Was?", Roland sah sie irritiert an.
"Martin ist verliebt!", sagte Pia ohne Umschweife.
"Du willst mir nicht gerade erklären, dass Martin... Kathrin?", er war perplex.
"Natürlich, das ist doch gar nicht mehr zu übersehen. Gerade jetzt würde er ihr so gerne helfen, doch sie wendet sich von ihm ab. Martin hat Achim und Kathrin heute Abend nicht aus den Augen gelassen...", meinte Pia.
"Na super, das macht es uns nicht gerade einfacher", murmelte Roland.
"Du hältst dich da am Besten ganz raus", versuchte Pia Roland zu überzeugen.
"Und wie soll das gehen?", wollte er wissen.
"Ach, mein Liebster", seufzte sie, "bis eben hast du noch von nichts gewusst... warte es erst einmal ab."
"Aber Martin wird doch nicht denken, dass zwischen Kathrin und Achim etwas läuft?", fragte Roland.
Pia hob seinen Arm hoch und legte ihn sich um die Schultern. "Wahrscheinlich denkt er das nicht, er hat ja mitbekommen, wie Achim von Katharina erzählt hat", erklärte sie, während sie sich an ihn kuschelte.
"Aber natürlich tut es ihm weh, dass Kathrin mit Achim so unbefangen umgeht, mit ihm scherzt, ihn umarmt... und so viele Erinnerungen an ihn und mit ihm hat."
"Mmmh, klar..." Roland wurde nachdenklich. "Ich versuche grade, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn du dich nicht mehr an mich erinnern könntest..."
"Na, noch kenne ich dich ja, mein Schatz." Pia drückte Roland einen Kuss auf die Wange, doch er drehte sich weg.
"Du nimmst mich nicht ernst."
"Roland", Pia war von seiner Reaktion überrascht. "Das stimmt doch nicht. Aber was bringt es, sich so etwas vorzustellen?"
"Nichts, du hast ja recht. Was soll ich denn jetzt machen?"
"Für Martin da sein", antwortete Pia. "Du darfst ihn auf keinen Fall unter Druck setzen. Aber wenn er reden will - es könnte ja sein, dass er irgendwann damit herausrückt - solltest du ihm zuhören."
"Ach Pia...", seufzte Roland, "du weißt einfach immer einen guten Rat." Er sah sie lange an. "Und dafür liebe ich dich."
Pia lächelte. "Ich liebe dich auch."
Am nächsten Morgen waren Roland und Pia schon in der Küche und bereiteten das Frühstück vor. Gegen viertel vor Sieben kam Achim.
"Guten Morgen!", begrüßte er die beiden.
"Wie immer ein bisschen über die Zeit", meinte Roland grinsend.
"Tja, manches ändert sich eben doch nicht", gab er zurück.
"Und du willst wirklich mit in die Klinik", fragt Pia.
"Ja! Ich habe mich dort immer wohl gefühlt und vielleicht ergibt sich nochmal ein Gespräch mit den Kollegen", antwortete Achim.
"Mit Sicherheit", sagte Pia und schenkte Kaffee ein.
"Wie sieht denn eure Tagesplanung aus?", erkundigte sich Roland.
"Kathrin und ich wollten heute in die Stadt, außerdem müssten wir mal kurz in ihre Wohnung, die Umbauarbeiten sind fast fertig", berichtete sie.
"In Ordnung, seid aber bitte noch vorsichtig und bleibt nicht zu lange da", ganz wohl schien Roland nicht bei diesem Gedanken.
"Nein, versprochen", beruhigte Pia ihn. "Ihr solltet euch aber jetzt auf den Weg machen, sonst kommt ihr zu spät."
Roland gab Pia einen Kuss und die beiden Männer fuhren in die Klinik.
Ihr erster Weg führte sie ins Ärztezimmer. Dr. Eichhorn und Martin waren bereits da und unterhielten sich über einen Patientenfall.
"Guten Morgen!", sagte Roland fröhlich. "Bekomme ich einen Kaffee?"
"Natürlich, Herr Chefarzt", stimmte Elena lächelnd zu. Da entdeckte sie Achim, der hinter Roland das Zimmer betreten hatte. "Dr. Kreutzer! Das ist ja schön, dass Sie noch einmal herkommen."
Achim freute sich über die herzliche Begrüßung. "Danke, Frau Kollegin", antwortete er, "an der Sachsenklinik fühlt man sich eben doch am wohlsten."
"Vermissen Sie die Klinik denn? Sie haben es doch sicherlich schön in Kolumbien", wollte sie wissen.
Achim nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu den beiden an den Tisch. "Natürlich ist es toll dort. Es ist auch ein ganz anderes Gefühl, die Menschen dort zu behandeln... das brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Aber die Sachsenklinik vermisse ich natürlich trotzdem sehr!"
Martin räusperte sich. "Ich möchte ungern den kleinen Plausch stören, aber mich würde doch noch interessieren, was Sie hiervon halten, Dr. Eichhorn..." Er deutete auf die Patientenakte.
"Ja klar, entschuldigung. Sind Sie noch eine Weile da, Dr. Kreutzer? Dann können wir uns gerne nachher noch ein wenig unterhalten."
"Ja, ich bin noch länger da. Was hast du denn da für einen Patientenfall?", fragte er Martin.
"Das möchte ich jetzt gerne mit Frau Dr. Eichhorn besprechen", wies Martin ihn schroff ab.
"Gut" Achim lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er wunderte sich, warum Martin so abweisend zu ihm war.
Unterdessen hielt Martin die Röntgenaufnahmen gegen das Licht.
"Der Tumor liegt sehr ungünstig", sagte er besorgt. "Eine OP halte ich im Moment für ausgeschlossen."
Achim hatte interessiert zugehört.
"Darf ich mal?", ohne Martin Antwort abzuwarten nahm er ihm die Unterlagen aus der Hand. "Sehr heikel, das stimmt schon, aber mit dieser neuen Methode sollte man es versuchen."
"Ach... was weißt du denn schon von dieser neuen Methode?", fragte Martin gereizt. "Damit könnt ihr in Kolumbien eh nichts anfangen!"
"Was soll das denn jetzt!? Ich wollte nur behilflich sein", entrüstete sich Achim.
"Danke, aber auf deine Hilfe bin ich zurzeit nicht angewiesen", antwortete er schnippisch.
Achim wollte gerade darauf antworten, als sich nun Roland einmischte.
"Es reicht jetzt! Könnte mir mal jemand sagen was zwischen euch vorgefallen ist? Ihr benehmt euch schon die ganze Zeit so komisch."
"Nichts", murmelte Martin.
"Wenn ihr etwas zu klären habt, dann macht das bitte draußen und lasst vor allem die Patienten außen vor! Frau Eichhorn, Sie werden den Fall ab sofort mit dem Kollegen Stein gemeinsam übernehmen", ordnete er an.
"Roland...", lenkte Martin ein.
"Und über die Ergebnisse möchte ich gerne informiert werden", unmissverständlich machte er ihnen klar, dass das Thema für ihn erledigt sei und verließ das Ärztezimmer.
"Danke Achim! Das hast du super hinbekommen", Martin raffte seine Sachen zusammen und knallte die Tür hinter sich zu.
Achim und Elena sahen sich erstaunt an.
"Was ist denn mit dem los?", fragte Achim.
"Wahrscheinlich sieht er in Ihnen einen Konkurrenten", vermutete Elena.
"Wie meinen Sie das?" Achim verstand nicht ganz.
"Naja, er hat hier Ihren Platz eingenommen... aber jetzt, wo Sie wieder hier sind, sind plötzlich alle aus dem Häuschen. Vielleicht denkt er, wir würden lieber mit Ihnen arbeiten, als mit ihm."
"Möglich...", überlegte Achim. "Aber da ist doch absolut nichts dran, oder?"
"Ich für meinen Teil habe mit Ihnen beiden gleich gerne gearbeitet", sagte Elena lächelnd.
"Meinen Sie, ich sollte mal mit ihm reden?", wollte Achim wissen.
"Warum nicht? Verlieren können Sie denke ich nichts..."
"Nein", seufzte Achim, "sauer ist er sowieso schon. Ich gehe ihn mal suchen." Achim verließ das Ärztezimmer. Da er nicht wusste, wo Martin sich aufhalten könnte, ging er zuerst zu Rolands Büro.
"Roland, kannst du mir sagen, wo ich Martin finde?", fragte er ihn.
Roland sah von seiner Arbeit auf. "Willst du ihn nicht lieber erstmal in Ruhe lassen?"
"Nein" Achim schüttelte den Kopf. "Ich will mich mit ihm aussprechen. Irgendetwas scheint ihm an mir nicht zu passen."
"Das Gefühl habe ich auch.... komisch, Martin kommt mit den meisten Leuten gut aus." Roland musste sich bemühen, sich nichts anmerken zu lassen.
"Naja, ich werde mal sehen, ob er mir sagt, was los ist. Weißt du nun, wo er sein könnte?"
"Vielleicht in der Cafeteria?", schlug Roland vor.
"Gut, ich schaue dort mal nach. Danke, Roland!" Achim schloss die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl.
Tatsächlich saß Martin in der hintersten Ecke der Cafeteria, entschlossen ging Achim auf ihn zu.
"Darf ich?", Achim deutete auf den freien Platz.
Martin senkte den Blick auf Boden und nickte nur kurz.
"Danke. Ich wollte mich heute Morgen wirklich nicht in deine Arbeit einmischen, es war nur gut gemeint", erklärte Achim. "Wieso bist du eigentlich so abweisend zu mir? Roland hat immer ganz anders von dir erzählt, das wundert mich ehrlich gesagt etwas...", er zögerte kurz. "Sag doch bitte auch mal was."
Martin atmete tief durch.
"Im Grunde hätte ich ja einen Schritt auf dich zumachen müssen. Seit du hier bist... wie soll ich dir das am Besten erklären?", fragte er nachdenklich.
"Einfach raus mit der Sprache", ermunterte ihn Achim.
"Also gut, dann von Anfang an. Erst die Sache mit Kathrin, wir wussten nicht mehr weiter. Roland kam dann auf die Idee dich anzurufen, seitdem fühle ich mich hier völlig überflüssig", fing er an.
"Wie kommst du denn auf die Idee?", wollte Achim wissen.
"Naja, du bist immer noch sehr beliebt bei den Kollegen. Aber das Schlimmste ist, dass ich in Kathrins Leben überhaupt nicht mehr existiere", erklärte er.
"So darfst du das nicht sehen. Kathrin meint es doch nicht so", versuchte er Martin zu trösten.
"Ja, ich weiß...", er seufzte.
"Sie wird sich bald bestimmt wieder an dich erinnern können! Und jetzt trinken wir einen Kaffee, einverstanden?", bot Achim an.
Das erste Mal lächelte Martin ihn an.
Achim stand auf und holte bei Charlotte zwei Tassen dampfenden Kaffee. Dann setzte er sich wieder zu Martin an den Tisch.
"Ich möchte mich wirklich nicht in dein Leben drängen", begann Achim. "Aber ich habe gehofft, dass wir Freunde werden können, so wie die anderen hier in der Klinik meine Freunde sind."
"Für mich hat es stattdessen von Anfang an so gewirkt, als hätte ich versagt, und deshalb mussten sie dich holen", erklärte Martin seine Situation. "Und als Kathrin mich dann nicht mehr kannte und mit dir dagegen so vertraut umging - da ist in mir irgend eine Sicherung durchgebrannt."
"Dir liegt sehr viel an Kathrin, oder?", fragte Achim. "Mehr als nur Freundschaft?"
Martin antwortete nicht, sondern sah zu Boden. Doch diese Reaktion sprach Bände.
"Verstehe." Achim nickte. "Das bleibt unter uns, du kannst dich auf mich verlassen."
"Danke." Martin war erleichtert.
"Und ich versichere dir, zwischen Kathrin und mir ist nichts mehr. Unsere Beziehung gehört längst der Vergangenheit an. Wir sind sehr enge Freunde, mehr nicht, und ich bin glücklich mit meiner Lebensgefährtin in Kolumbien."
"Nur bringt mir das nichts, wenn Kathrin mich nicht mehr kennt..." Martin war noch nicht überzeugt.
"Ich glaube fest daran, dass sie ihr Gedächtnis zurückgewinnen wird. Das solltest du auch tun", versuchte Achim, ihm Mut zu machen. "Und selbst wenn es für immer so bleiben sollte, wie es jetzt ist, was ich aber wirklich für unwahrscheinlich halte, dann sorge dafür, dass sie dich neu kennenlernt! Es ist doch noch nicht alles verloren, Martin!"
Martin sah Achim an. In dem Moment ging sein Pieper und er griff seufzend in die Tasche seines Kittels. "Ich muss, die ITS." Er stand auf. "Vielen Dank für das Gespräch, Achim. Wollen wir... wollen wir nochmal von vorne anfangen?"
"Gerne." Ein Lächeln breitete sich auf Achims Gesicht aus. Er freute sich, nun endlich alle Unklarheiten aus dem Weg geräumt zu haben.
Unterdessen waren Kathrin und Pia in der Stadt. Sie schlenderten durch die Fußgängerzone und ließen kein Geschäft aus.
"Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht!", meinte Kathrin.
"Stimmt, eigentlich könnten wir das mal wieder öfters machen, oder?", fragte Pia.
"Gerne, ab und an muss man einfach mal etwas ohne die Männer unternehmen", grinste sie.
"Unbedingt!", gab Pia ihr Recht. "Wollen wir noch in dieses Geschäft? Die haben immer so schöne Sachen."
"Pia, wie sollen wir das denn noch alles tragen?", sie deutete auf die vielen Tüten, die sich bereits trugen.
"Hm... ist vielleicht auch besser so. Roland kriegt nach dieser Shoppingtour bestimmt wieder die Krise", überlegte Pia. "Was schlägst du vor?"
"Eine Tasse Kaffee wäre jetzt genau das Richtige. Am Besten gehen wir ins Charlotte, das ist gleich um die Ecke", sagte Kathrin wie selbstverständlich.
Pia blieb stehen und sah sie an.
"Was hast du gerade gesagt? Wo willst du hin?", fragte sie nach.
"Na, ins Charlotto...", wiederholte sie und hielt einen Moment inne. "Pia... ich glaube..."
"Du kannst dich wieder an etwas erinnern", freute sie sich und lächelte ihre Freundin erleichtert an.
"Ich muss sofort Achim anrufen!", rief Kathrin begeistert und holte ihr Handy aus der Tasche.
"Nicht lieber Martin?", fragte Pia. "Er würde sich so freuen. Für ihn ist es auch schwer, zu akzeptieren, dass du dich nicht an ihn erinnern kannst..."
"Du hast recht. Martin hat es verdient, dass er zuerst davon erfährt. Vielleicht kommt mein Gedächtnis ja auch bald wieder ganz zurück!" Kathrin war völlig aus dem Häuschen.
"Das wäre schön", lächelte Pia.
Unterdessen waren sie im Charlotto angekommen. Pia suchte einen Tisch aus, während Kathrin noch mit Martin telefonierte.
"Ich habe völlig selbstverständlich vorgeschlagen, dass wir ins Charlotto gehen könnten, kannst du dir das vorstellen?", fragte Kathrin gerade. "Ist das nicht wunderbar?"
"Doch, wirklich toll!", freute sich Martin. "Da dauert es jetzt sicherlich nicht mehr lange."
"Störe ich eigentlich grade?", wollte Kathrin wissen. "Was machst du?"
"Nein, du störst nicht! Ich trinke gerade mit Achim einen Kaffee." Martin lächelte.
"Dann grüß ihn bitte ganz lieb von mir. Und viel Spaß euch beiden noch!" Mit diesen Worten legte Kathrin auf.
"Und, hat er sich gefreut?", fragte Pia.
"Klar." Kathrin strahlte sie an. "Er sitzt grade mit Achim in der Cafeteria."
"Mit Achim? Das ist ja schön." Zufrieden lehnte sich Pia zurück. "Ich habe uns beiden einen Cappuccino bestellt, ist das in Ordnung?"
"Natürlich, du kennst mich doch", grinste Kathrin.
Nachdem Pia und Kathrin den Cappuccino ausgetrunken hatten, überlegten sie, was sie nun machen könnten.
"Wollen wir nicht mal kurz in der Klinik vorbeischauen?", fragte Kathrin.
"Du kannst es wohl kaum noch erwarten, endlich wieder zu arbeiten?", vermutete Pia.
"Auch! Aber weißt du, vielleicht helfen bekannte Orte dabei, dass die Erinnerung wieder vollständig zurückkommt", meinte sie.
"Einverstanden, die drei Jungs werden sich bestimmt freuen dich zu sehen", Pia zahlte und sie machten sich auf den Weg in die Klinik.
Roland kam ihnen zufällig im Foyer entgegen.
"Kathrin!", er begrüßte sie mit einem Kuss auf die Wange, anschließend küsste er Pia.
"Du hast es also schon gehört?", grinste sie.
"Na, was denkst du denn?!", lachte er, "Martin und Achim haben mir fast die Türe eingerannt."
"Wo sind die eigentlich?", wollte Pia wissen.
"Sie haben sich ins Ärztezimmer zurück gezogen und beratschlagen über einen Patientenfall", sagte er zufrieden.
"Dann wollen wir ihnen doch mal einen Besuch abstatten, oder?", Kathrin war schon lange nicht mehr so fröhlich gewesen.
"Geh du doch einfach schon vor, wir kommen gleich nach", meinte Roland.
"In Ordnung, dann bis gleich", sie machte sich auf den Weg ins Ärztezimmer.
Roland legte den Arm um Pia und spazierte mit ihr in die andere Richtung.
"Wo willst du hin?", fragte sie verwundert.
"Nirgends, ich möchte einfach noch ein bisschen mit dir reden.", erklärte Roland.
Pia lächelte. "Es ist schön, dass es Kathrin endlich besser geht, nicht?"
"Ja, wirklich", bestätigte Roland. "Ich hoffe nur, dass sie sich jetzt keine falschen Hoffnungen macht. Es ist nicht gesagt, dass es jetzt wirklich so schnell geht, bis sie ihr Gedächtnis vollständig zurück hat..."
"Jetzt mal doch nicht den Teufel an die Wand. Immerhin hat Kathrin neuen Mut gefasst!"
"Und Achim und Martin verstehen sich." Roland grinste zufrieden.
"Wie hast du das denn eigentlich geschafft?" Pia sah ihn an.
"Also, ich muss zugeben..." Roland zögerte. "Diesmal hatte ich meine Finger gar nicht im Spiel."
"Die beiden haben sich von alleine zusammengerauft?", fragte Pia ungläubig.
"Naja, das ging im Grunde ja alles nur von Martin aus, Achim hatte kein Problem mit ihm. Also ist Achim auf ihn zugegangen und sie haben sich offensichtlich ausgesprochen."
"Dann geht ja nun endlich alles gut aus." Pia gab Roland einen Kuss auf die Wange. "Wollen wir Kathrin hinterher?"
"Ja, klar.", antwortete Roland, und damit machten sie sich auf den Weg ins Ärztezimmer.
Kathrin, Achim und Martin saßen gemeinsam im Ärztezimmer und tranken Kaffee.
"Kommt rein! Möchtet ihr auch was trinken?", sagte Kathrin fröhlich und schenkte ihnen bereits etwas ein.
"Bei euch ist also alles in Ordnung?", fragte Pia in Richtung Achim und Martin.
"Klar!", antwortete Achim.
"Könnte gar nicht besser sein", grinste Martin.
"Na endlich", war Roland zufrieden.
"Dann wird es Zeit, dass ich euch alle bei mir zu Hause einlade, die Handwerker sind fertig!", berichtete Kathrin.
"Wir kommen gerne", Martin freute sich, dass Kathrin ihn nicht mehr wie einen fremden behandelte.
"Hoffentlich verstopft der Abfluss nicht schon wieder", dabei sah sie Martin grinsend an, "war mir ja damals doch ganz schön peinlich..."
Martin und die Anderen schauten Kathrin völlig perplex an. Im selben Moment bemerkte Kathrin, dass wieder ein Stück ihrer Erinnerung zurückgekommen war. Sie wusste gar nicht wie ihr geschah. Völlig aus dem Häuschen drückte sie ihren Freunden einen Kuss auf die Wange und umarmte Pia.
"Habt ihr das mitbekommen?", fragte sie zur Sicherheit.
"Natürlich! Kathrin, ich freue mich so für dich!", strahlte Pia.
"Na, wenn das kein Grund zum Feiern ist", Achim hatte sein breitestes Grinsen aufgesetzt.
"Wann steigt die Party?", wollte Roland wissen, legte seinen Arm um Kathrin und lächelte sie glücklich an.
"Morgen abend?", schlug Kathrin vor.
Martin schüttelte den Kopf. "Ich habe Dienst, tut mir leid."
"Übermorgen?"
Damit waren alle einverstanden.
"Schön", freute sich Kathrin. "Dann kommt ihr um Sieben zu mir und ich werde mich für alles revanchieren, was ihr in der letzten Zeit für mich getan habt."
"Na da hast du dir aber was vorgenommen!", antwortete Roland lachend und erntete dafür von Pia einen Tritt ans Schienbein. Er warf ihr einen gespielt bösen Blick zu.
Gerade, als sie sich wieder gemütlich hinsetzen wollten, stürmte eine Schwester ins Ärztezimmer. "Dr.Heilmann, Dr.Stein, schnell! Ein Autounfall auf der Landstraße, es werden zwei Schwerverletzte eingeliefert!"
Martin schnappte seinen Kittel und gab Kathrin im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange. "Wir sehen uns später." Dann verließen die beiden zusammen mit Achim im Laufschritt das Zimmer.
Kathrin sah ihnen sehnsüchtig hinterher. "Es juckt mich so richtig, da jetzt mitzugehen..."
"Kommt gar nicht in Frage!", riss Pia sie aus ihren Gedanken. "Du musst dich noch schonen!"
"Jaja." Kathrin verdrehte die Augen.

Am Samstag war Kathrin bereits mit den Vorbereitungen für die Feier beschäftigt, als es an der Haustür klingelte. Sie machte auf und Martin überreichte ihr breit grinsend einen Blumenstrauß.
"Martin!", sie nahm die Blumen entgegen, "was machst du denn schon hier?", fragte sie überrascht.
"Ich dachte, du könntest vielleicht noch etwas Hilfe gebrauchen?", antwortete er.
"Na, dann komm mal rein", sie ließ ihn herein. "Die Blumen sind wunderschön, danke!"
"Nicht der Rede wert", wiegelte Martin gleich ab und sah sich in der Küche um. "Da hast du dir aber eine Menge vorgenommen."
"Ach was, das sieht mehr aus als es ist", meinte sie gut gelaunt und nahm eine Vase aus dem Schrank.
"Womit soll ich denn anfangen?", wollte Martin wissen.
"Hm... du könntest schon mal den Salat putzen, dann kümmere ich mich um den Nachtisch", meinte sie.
"Nichts lieber als das", grinste er und machte sich gleich an die Arbeit.
"Du bist verrückt", lachte sie und knuffte ihm in die Seite, "eigentlich sollten die Gäste ja nicht mit kochen!"
"So eng sehen wir das heute nicht", er zwinkerte ihr zu.
Bald darauf waren sie mit allem fertig und warteten nun auf die restlichen Gäste.
"Wollen wir uns schonmal ein Gläschen Rotwein gönnen?", fragte Kathrin.
"Gerne." Martin öffnete bereits die Schubladen, um nach einem Korkenzieher zu suchen.
"In der zweiten von links", wies Kathrin ihn an und nahm zwei Gläser vom Tisch.
Dann setzten sie sich zusammen aufs Sofa. Kathrin rutschte etwas näher an ihn heran.
"Weißt du was, Martin...", begann sie. "Ich glaube, ich fände es gar nicht so schlimm, wenn meine Erinnerung an dich nicht mehr hundertprozentig zurückkommen würde."
"Wie bitte?", fragte Martin irritiert.
Kathrin musste lachen. "Nein, so meine ich das nicht. Das war jetzt wohl etwas ungeschickt formuliert. Ich habe nur das Gefühl, dass wir uns mittlerweile schon so gut neu kennengelernt haben, dass ich meine Erinnerung gar nicht mehr brauche, um zu wissen, was für ein guter Freund du bist."
Martin legte seinen Arm um sie und drückte sie an sich. "Danke, Kathrin", sagte er gerührt. "Das freut mich wirklich sehr."
Kathrin drehte sich zu ihm um und ihre Blicke trafen sich. Sie sahen sich lange an, doch plötzlich klingelte es an der Tür.
"Sind die das etwa schon?", fragte Kathrin überrascht und warf einen Blick auf die Uhr. "Tatsächlich, es ist schon Sieben." Sie stand auf und öffnete.
Achim und Roland gaben ihr einen Kuss auf die Wange, Pia umarmte sie zur Begrüßung und auch Kathrins Eltern waren gekommen.
Martin war inzwischen aufgestanden und gesellte sich zu seinen Freunden.
"Ja, ich möchte hier jetzt keine große Rede halten. Es freut mich, dass ihr alle gekommen seid. Lasst uns gemeinsam einen schönen Abend verbringen. Für Essen und Getränke ist natürlich gesorgt, dank Martin bin ich rechtzeitig fertig geworden", begrüßte sie ihre Gäste und Martin schaute verlegen auf den Boden. Achim, Roland und Pia grinsten sich vielsagend an.
"Also dann, bedient euch!", Kathrin deutete auf das kleine Buffet.
Nach dem Essen setzten sie sich ins Wohnzimmer, nach einer Weile verabschiedeten sich Harry und Eva.
"Macht euch noch einen schönen Abend, wir fahren jetzt zurück ins Hotel, unser Flieger geht ziemlich früh", erklärte Kathrins Mutter.
"Schön, dass ihr hier gewesen seid. Ich werde morgen auf jeden Fall am Flughafen sein", versprach Kathrin und begleitete ihre Eltern zur Tür.
In der Zwischenzeit wurde Martin von den Anderen gelöchert.
"Und, ist wieder alles in Ordnung zwischen euch?", fragte Roland nach.
"Wie läuft es denn?", wollte Achim wissen.
"Ich weiß gar nicht, wovon ihr redet. Natürlich ist bei uns wieder alles in Ordnung", versuchte Martin abzulenken.
"Ach komm schon", mischte sich nun auch Pia ein, "du brauchst uns nicht vormachen. Wir haben schon längst mitbekommen, dass Kathrin dir viel bedeutet."
"Pass auf", Achim zwinkerte ihm zu und setzte sich auf den Sessel, nun war nur noch neben Martin ein Platz frei.
Als Kathrin zurückkam, ließ sie sich ganz selbstverständlich auf den freien Platz neben Martin fallen. "Puh", seufzte sie.
"Was ist, bist du müde?", fragte Roland besorgt. "Sollen wir lieber gehen?"
"Nein, bleibt bloß hier!", sagte Kathrin sofort. "Ich finde es schön, mal wieder mit euch allen zusammen zu sein. Und dass sogar Achim dabei ist...." Sie lächelte ihn an. "Einfach toll."
In dem Moment bemerkte sie das leere Glas vor Martin auf dem Tisch. "Möchtest du noch was trinken, Martin?", fragte sie.
"Ja, gerne. Aber keinen Wein mehr, vielleicht ein Glas Wasser?"
"Hole ich dir." Kathrin sprang sofort auf und ging in die Küche. Kurz darauf kam sie mit dem Wasserglas zurück und gab es Martin direkt in die Hand. Dabei berührten sich ihre Finger kurz, und die Anderen warfen sich vielsagende Blicke zu.
Als Kathrin sich wieder hingesetzt hatte, legte Martin ohne nachzudenken den Arm um sie und sie lehnte sich an ihn. Pia konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen.
"Was grinst du denn so, Pia?", fragte Kathrin, der das nicht entgangen war.
"Nichts, nichts", wiegelte Pia ab. "Ich genieße nur den Abend. Achim, hast du dir eigentlich schon überlegt, ob du noch ein bisschen hierbleibst?", fragte sie schnell, um vom Thema abzulenken.
"Ja." Ein Lächeln breitete sich auf Achims Gesicht aus. "Ich war die letzten Tage ja sozusagen beruflich hier, also kann ich jetzt ruhig noch eine Woche Urlaub dranhängen."
"Das ist ja toll!", freute sich Roland. "Da müssen wir noch planen, was wir alles unternehmen wollen!"
"Ins Kino, was trinken - am besten im Charlotto, dann lerne ich das auch mal kennen, ins Fitnessstudio...", zählte Achim auf.
Roland sah erwartungsvoll zu Kathrin, doch die bekam von dem Gespräch kaum etwas mit. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken umher, da war die Ungewissheit der letzten Tage, da war Martin.... Aber vor allem war da ein Glücksgefühl, wie sie es lange nicht mehr gespürt hatte. Endlich konnte sie sich an alles erinnern, endlich war sie wieder zu Hause.


© Kathrin und Vanessa (2008)